Flirt mit dem Tod
Todeszeitpunkt liegt etwa zwischen zweiundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr. Das heißt, sie muss kurz nach ihrer Ermordung zur Tankstelle gebracht worden sein. Oder sie wurde sogar dort getötet. Im Gegensatz zu Natasha Edwards. Sie wurde erst etwa einen Tag nach ihrem Tod zum Fundort gebracht. Wir müssen also davon ausgehen, dass der Täter Carly Paulson einen Tag lang gefangen gehalten hat.«
*
»Also hat der Täter sein Verhalten vom ersten zum zweiten Mord verändert?«, hakte Elena nach. »Hat er beim ersten Mord die Frau getötet und sich erst dann überlegt, wie er die Auffindesituation inszeniert? Und dieses Mal hat er bereits gewusst, wo er sie ablegen will und hat das Opfer dann bis zum letzten Moment am Leben gelassen?«
Dr. Connelly schenkte Elena ein schmales Lächeln. »Genau so würde ich die Situation beurteilen, wenn ich davon ausgehen würde, dass alle vier Taten von ein und demselben Täter begangen wurden. Doch so weit sind wir im Moment noch nicht, Detective St. James.« Was im Klartext einmal mehr bedeuten sollte: Halt die Klappe, Grünschnabel.
Elena versuchte, ob dieser Zurechtweisung nicht zu erröten. Irgendwie schien die Gerichtsmedizinerin sie immer noch nicht ganz für voll zu nehmen, ebenso wie Lieutenant Wood, der sich nun zu Wort meldete.
»Wie beim ersten Tatort auch war die weibliche Leiche nackt und die männliche vollständig bekleidet, wenn man mal von der fehlenden Unterhose absieht, was aber mit Sicherheit nichts mit dem Fall zu tun hat.« Wood rümpfte die Nase, als hätte ihm seine Mutter die Hölle heißgemacht, wenn er als junger Mann ohne Unterhose aus dem Haus gegangen wäre. »Ich tippe ebenfalls auf eine Neun-Millimeter«, fuhr er fort. »Offensichtlich prallte Collins durch die Wucht der Schüsse gegen das Regal hinter sich und fiel dann zurück auf den Tresen, wo sein Oberkörper liegen blieb. Die Projektile konnten wir bislang noch nicht vergleichen. Ich denke, Dr. Connelly wird uns Bescheid geben, sobald sie die Geschosse aus dem Kassierer gezogen hat. Die vom ersten Tatort haben wir durch die Datenbank laufen lassen. Die Waffe ist bislang noch nirgends aufgetaucht. Die Videobänder fehlen, aber das habt ihr ja schon gehört. Das Sicherheitssystem befand sich im Hinterzimmer der Tankstelle. Nicht schwer zu finden, wenn man weiß, wonach man sucht. Die Registrierkasse war leer, ebenso wie der Tresor unter dem Tresen. Sieht, wie in dem Supermarkt auch, nach einem Raubüberfall aus. Ansonsten gab es in dem Laden jede Menge Fingerabdrücke, davon werden wahrscheinlich nicht wenige in der Datenbank sein. Wir müssen alle auswerten, dann kann ich euch vielleicht etwas Neues sagen.« Wood seufzte und nahm einen großen Schluck Kaffee. Verstohlen blickte er auf seine Armbanduhr. Jeder wusste, dass er es hasste, seine Ermittlungsergebnisse in einer so großen Runde zu präsentieren. Er verschanzte sich viel lieber in seinem Labor, als Vorträge zu halten.
Bergen hatte sich inzwischen an Josh Winters gewandt. »Wie schätzen Sie die Situation auf den ersten Blick ein?«
Wie Elena zu Ohren gekommen war, hatte Winters in seiner Zeit beim FBI eine Profilerschulung absolviert und wurde deshalb, seit er beim Boston PD arbeitete, regelmäßig zum Erstellen irgendwelcher Täterprofile herangezogen.
»Die Aussagen, die ich bis jetzt treffen kann, unterliegen natürlich keiner sorgfältigen Analyse, und da ich erst jetzt aus dem Urlaub zurück bin, kenne ich noch nicht jedes Detail der Fälle. Trotzdem würde ich mich Detective St. James anschließen.« Er lächelte Elena zu. »Es handelt sich um einen oder mehrere Täter, der oder die für alle vier Morde infrage kommen.« Beschwichtigend hob er die Hände, als er Judy Paxtons gezischten Fluch vernahm. »Ich weiß, du willst das böse S-Wort nicht hören. Aber wir müssen uns auf einen Serientäter einstellen. Auch wenn die Ablagemodalitäten nicht die gleichen sind, die Taten selbst sind identisch. Was sie vor allem verbindet, sind die Fotoschnipsel, die bei den weiblichen Leichen gefunden wurden. Das Stück eines Ohrs und ein Mundwinkel. Der Täter scheint eine Art Puzzle zusammensetzen zu wollen. Bedenklich finde ich den kurzen Zeitraum zwischen den Doppelmorden. Entweder hat der Täter schon in der Vergangenheit gemordet, ohne dass wir etwas davon wissen, und steigert jetzt das Tempo, oder es hat einen aktuellen Auslöser für diese Taten gegeben. Egal, wie man es betrachtet, die Zeiträume dazwischen sind verflucht
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