Flirt mit der Unsterblichkeit
zuckte.
»Wenn ihr gehen wollt, dann geht«, sagte sie. »Wir haben hier auch die Stellung gehalten, bevor jemand von euch aufgetaucht ist. Und wir werden noch lange, nachdem ihr weg seid, hier aushalten. Das ist unsere Stadt und wir werden hier bis zum Letzten ausharren. Darauf könnt ihr euch verlassen.«
»Ja, Ma'am«, sagte Claire leise. »Aber... die Kids...«
Mrs Grant lächelte niedergeschlagen. »Wofür, glaubst du, kämpfen wir so hart? Für dieses schöne Gebäude? Wir werden bis zuletzt für unsere Kinder kämpfen, jeder Einzelne von uns. Da mach dir mal keine Sorgen. Wenn ihr glaubt, dass euer Freund euch braucht, dann geht. Nehmt die Waffen mit, wir haben mehr als genug davon. Jagen zu gehen, war hier früher sehr beliebt.« Mrs Grant verstummte und musterte Claire. »Eigentlich... warte mal. Ich hab was für dich.«
Sie kramte in einem Schrank und holte etwas Großes, Sperriges heraus. Es war ein Bogen. Mrs Grant fand auch einen Beutel voll Pfeile dazu.
»Ich weiß nicht, wie man damit schießt«, protestierte Claire.
»Dann lern es.«
»Aber...«
»Wenn du ihn nicht willst, dann gib ihn wieder her.«
»Nein«, sagte Claire beschämt. »Es tut mir leid. Ich werde schon dahinterkommen.«
Plötzlich grinste Mrs Grant und wuschelte Claire durchs Haar, wie man es bei kleinen Kindern tut. »Ich weiß, dass du dahinterkommst«, sagte sie. »Du hast dieses gewisse Etwas, weißt du? Und Mut. Das gefällt mir.«
Claire nickte, weil sie nicht wusste, was sie dazu sagen sollte. Sie umklammerte mit der einen Hand den Bogen, mit den anderen den Beutel mit den Pfeilen und sah Michael an. »Dann werden wir jetzt wohl mal...«
»... Oliver retten«, sagte Michael, ohne eine Miene zu verziehen. »Aber vielleicht übst du zuerst, mit diesem Ding zu schießen.«
***
Während Michael, Shane und Eve einen Plan ausheckten, um Oliver zu retten, der sich laut Stadtplan und Mrs Grants Hinweisen in Halley's Werkstatt - einem alten Lehmziegelgebäude in der Nähe des Stadthauses - befand, hängte Claire ein paar handgemalte Zielscheiben aus Papier an Polsterstühle. Sie nahm einen der Pfeile und versuchte herauszufinden, wie man ihn möglichst schnell an die Bogensehne legen konnte. Das klappte nicht besonders gut, deshalb versuchte sie es noch einmal und nahm sich dabei Zeit.
Es war überraschend schwer, die Bogensehne zu spannen und gleichzeitig den Pfeil an Ort und Stelle zu halten, ohne zu zittern. Sie traf nicht mal den Stuhl, geschweige denn die Zielscheibe, der Pfeil schlug ungefähr einen Meter daneben in die Wand. Aber zumindest hatte sie den Pfeil abgeschossen. Das war doch auch schon mal was, oder? Sie nahm noch einen Pfeil und versuchte es wieder.
Zwanzig Pfeile später schaffte sie es, das Polster zu treffen – nicht die Zielscheibe, aber das Polster - , und sie begriff allmählich, wie diese ganze Sache funktionierte. Es war leichter, wenn sie es physikalisch betrachtete - als Leistung und Bewegungsenergie, Energie und Impuls. Während sie das alles im Kopf berechnete, vergaß sie darüber die anderen Dinge, die ihr konkret im Weg standen - das Gewicht des Bogens, die Angst, es nicht richtig zu machen - , und plötzlich machte es klick. Plötzlich, als wäre auf einmal ein Scheinwerfer auf sie gerichtet, spürte sie die Konzentration und ließ den Pfeil los. In diesem Moment wusste sie, dass er sein Ziel erreichen würde. Sie führte den Bogen elegant nach vorne und sah dem Pfeil nach, der exakt in die Mitte der grob gezeichneten Zielscheibe traf. Physik. Sie liebte Physik.
Gerade als sie den Pfeil ins Ziel geschossen hatte, kam Shane. Er blieb stehen und starrte von der Zielscheibe zu Claire, die aufrecht dastand, den Bogen noch immer lässig in der Hand und bereit, erneut zu schießen. »Du siehst gerade so was von heiß aus«, sagte er. »Ich sag's ja nur.«
Sie grinste ihn an und ging die Pfeile aufsammeln. Einer oder zwei hatten bei ihren Versuchen ein wenig gelitten, aber die übrigen konnte sie wieder verwenden. Sie legte sie alle sorgfältig zurück in die Tasche, mit dem gefiederten Ende nach oben. »Du magst mich nur, weil ich zur Abwechslung mal nützlich sein könnte.«
»Du bist immer nützlich«, sagte Shane. »Und heiß auch. Das habe ich schon erwähnt, oder?«
»Du bist übergeschnappt. Ich brauche eine Dusche, saubere Kleider und etwa ein Jahr Schlaf.«
»Okay, wie wäre es statt ›heiß‹ mit ›wild‹?«
»Lass es mich mal so ausdrücken wie Eve«, sagte sie und zeigte
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