Flitterwochen
kleinen Streitigkeiten der Beamten zuhörte. Im Augenblick saßen sie und der Professor in Ruhe auf der Veranda, beide wegen dieses neuesten Überfalls voll Mitgefühl für Lee.
Meredith sagte sofort: »Die Unterbringung ist überhaupt kein Problem. Ich bin sicher, daß die jungen Männer nichts dagegen haben, wenn ich zu ihnen ziehe, das Zelt ist groß genug. Aber eigentlich finde ich, daß alles sehr viel einfacher würde, wenn Sie mich abreisen ließen. Schließlich sind meine Shakespeare-Notizen fertig, und Miss Connor könnte sie sicher besser vortragen als ich.«
Zum ersten Mal war Hester etwas bestürzt und erklärte hastig: »Nur das nicht, ich bitte Sie. Ich teile mit Lee die Abneigung, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Einen Blumenstrauß in Empfang nehmen oder während eines schrecklich langweiligen Empfangs auf der Bühne zu sitzen, dazu war ich oft verurteilt. Aber ich habe, wie die modernen Psychologen es wohl nennen würden, unerklärliche Hemmungen, wenn ich wirklich sprechen soll. Ich muß sogar damit rechnen, daß mir die Stimme versagt, wenn ich einen Basar für eröffnet erklären soll.«
Lee war fasziniert von dieser ersten Offenbarung einer Schwäche. »Aber Tante Hester, das hätte ich von dir nie gedacht. Ich habe mir vorgestellt, daß du bei allen öffentlichen Veranstaltungen ein paar freundliche Worte gesagt hast.«
»Leider nein, meine Liebe. In dieser Hinsicht habe ich deinen guten Großvater, der selbst ein begeisterter und hervorragender Redner war, im Stich gelassen. Ich habe versucht, es zu überwinden, aber es scheint eine physische Schwäche zu sein, die sich nicht kontrollieren läßt. Natürlich habe ich es so weit geschafft, zwei Sätze zu sagen, aber auch dann war meine Stimme unzuverlässig.«
»Genau wie meine. Wahrscheinlich habe ich das von dir geerbt. Wie ungeheuer interessant. Sehen Sie, Professor, Sie können das Tante Hester nicht überlassen. Und außerdem hat Cynthias Ankunft auch ein Gutes. Sie wird die Phöbe spielen.«
»Das freut mich für Sie. Ich meine aber trotzdem, daß ich vielleicht besser abreisen sollte.«
»O nein. Das würde die Hälfte der Freude verderben.«
Er sah sie freundlich an: »Freude? Ich habe mich gefragt, ob Ihnen das Ganze viel Freude macht. Sie haben die schwerste Arbeit und machen sich nichts daraus mitzuspielen, was doch eine kleine Entschädigung wäre.«
Das stritt Lee ab, wenn auch mit halbem Herzen, denn in Wirklichkeit hatte sie alles ziemlich satt, das Kochen, die Hausarbeit, die Leute, die ständig über Beleuchtung und Abgänge sprachen, sie war es leid, das Haus voll zu haben, Andrew nie zu sehen und ruhig mit ihm sprechen zu können. Am meisten hatte sie jedoch dieses Horoskopbuch satt, das ewigwährende Flitterwochen versprach.
Im Haus traf sie Lawrence, der ganz gegen seine Gewohnheit unruhig und gereizt aussah. Alles war gegen ihn. Er war mit einer von Mückenstichen verschwollenen Stirn aufgewacht; als er Kitty besuchen wollte, war sie nicht zu Hause, sondern »machte einen kleinen Spazierritt über die Felder«, aber nicht mit ihm; sein treuer Begleiter Grant war verschwunden, und es war niemand da, der ihm ein Mittagessen kochte; und nun noch die Nachricht, daß Cynthia Jordan unerklärlicherweise seinen Aufenthaltsort ausfindig gemacht hatte und schon bald bei ihm sein würde.
Plötzlich tat er Lee leid. Sie dachte daran, daß er in letzter Zeit wenig Erfolg bei Kitty gehabt hatte; es mußte eine große Überraschung und ein schwerer Schlag für sein Geltungsbedürfnis gewesen sein. Und jetzt mußte er seine Sünden in Gestalt der schönen, aber unbarmherzigen Cynthia büßen. Ohne weiter zu überlegen, lud Lee ihn zum Mittagessen ein, und zählte dann traurig die lange Reihe Koteletts und kam zu dem Schluß, daß sie sich mit Brot und Käse begnügen mußte.
Während sie noch bei Tisch saßen, erklang fröhlich eine Hupe, und ein herrlicher Wagen, eines der neuesten Modelle, fuhr leise an der Tür vor. Lawrence schaute nervös zum Fenster hinaus und verschlang dann schnell den letzten Bissen Kotelett. Lee sah ihn streng an.
»Ein Fluchtversuch ist völlig sinnlos. Ich werde sie schnurstracks zum Zelt schicken, wenn du das tust. Geh hinaus und begrüße sie. Schließlich ist sie ja dein Gast.«
Cynthia war zweifellos eine schöne Frau. Hochgewachsen, herrliches Haar von einem wahrscheinlich unechten, aber sehr verführerischen Gold, Figur und Gesicht ebenso makellos wie ihre Haltung. Lee überlegte, daß
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