Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flora Segundas magische Missgeschicke

Flora Segundas magische Missgeschicke

Titel: Flora Segundas magische Missgeschicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
Vom Netzwerk:
Lippen schimmerten in einem blassen Rosa und seine Wimpern lagen wie schwarze Federn auf der papierweißen Haut. Lange weiße Hände mit blutrot gefärbten Nägeln waren über seiner Brust gefaltet, als ob sie früher einmal etwas umklammert hätten – ein Schwert vielleicht oder eine Pistole –, aber jetzt waren sie leer, dabei noch leicht gewölbt. Er trug die kräftig rote Uniform der Schlitzer und die langen Ärmel flossen über die Kanten des Sockels hinab wie eine blutige Spur. Aber seine Wangen waren nicht durch die Schlitzernarben verunstaltet.
    »Er sieht ziemlich gut aus, wenn man bedenkt, dass ihm seine Frau einen Pfeil durch die Kehle geschossen hat«, erklärte Udo.

    »Es wurde nie bewiesen, dass Butcher Brakespeare ihn wirklich erschossen hat …« Ich brach ab und hielt den Atem an, denn ich hatte gerade einen Blick auf meine Hand geworfen, die immer noch den Vorhang zurückhielt.
    »Udo«, sagte ich mit zitternder Stimme.
    Die knorrigen Linien meiner Knochen schimmerten durch mein Fleisch wie Felsen am Grund eines klaren Bergbachs.
    »Schweinebacke und Schmalztopf!«, sagte Udo. »Keine Panik, Flora – wir haben immer noch Zeit, ich schwör’s dir. Alles wird gut. Komm weiter.«
    Er zog die Flagge wieder über dieses kalte, schöne Gesicht und ich war froh, es verschwinden zu sehen. Es war genau die Art von Gesicht, die einen bis in den Traum verfolgt. Und meine Träume waren im Augenblick schon ziemlich überfüllt.
    Als wir wieder die Stufen hinabstiegen und uns gleichzeitig mit den Vorhängen abmühten, die sich nur schwer wieder zuziehen ließen, hörten wir das schwache Geräusch von Schritten. Eine Stimme kam von der tunnelartigen Treppe zu uns geschwebt – aus der Richtung unseres einzigen Fluchtwegs.
    Das Eisentor am oberen Ende der Treppe quietschte. Wir vergeudeten keine Zeit mit erschrecktem Geplapper, sondern sausten durch die Krypta und suchten nach einem sicheren Versteck. Die Urnen neben der Treppe waren viel zu groß, die kleinen Nischen nicht groß genug, und ich hatte keine Lust auf Körperkontakt mit einer dieser bleichen Leichen.
    »He!«, zischte Udo. Einen Augenblick lang konnte ich ihn nicht finden, dann sah ich eine hektisch winkende
Hand und Udos Kopf, der unter den Vorhängen hervorlugte, die bis zum Boden von Harthands Katafalk reichten. »Hier ist jede Menge Platz – beeil dich!«
    Die Schritte kamen schnell näher, dröhnten wie dumpfe Glocken und ich dachte, dass ich das grausige Kratzen von Krallen auf dem Marmor hören konnte. Schlitternd hastete ich über den Boden und wäre beinahe gegen die Kante des Katafalks geprallt. Es war ziemlich eng da unten, aber ich schob mich in den Spalt zwischen Katafalk und Boden, wobei mir etliche Staubflocken in die Nase drangen. Udo ließ den Vorhang fallen und wieder warteten wir in der Dunkelheit.
    Wir konnten uns kaum rühren und die abgestandene Luft schmeckte nach süßlicher Verwesung. Der Gedanke schoss mir in den Sinn, dass die Figur, die über uns ruhte, vielleicht nur eine Fälschung war und dass hier unten die echte Leiche lag, knochig und kantig, mit verdrehten Sehnen und Fleischfetzen an den Knochen. Und vielleicht mochte sie ihren Platz nicht mit uns teilen … Ich vergrub mein Gesicht in den Jackenfalten an Udos Rücken und versuchte, den Gedanken hinunterzuwürgen.
    Die Schritte kamen – tapp, tapp, tapp – und dann verstummten sie.
    Tapp, tapp, stopp, tapp, stopp.
    »Ave? Ist hier jemand?«
    Es war nicht Paimons Donnerstimme, die diese Worte aussprach. Aber wenn nicht Paimon, wer sonst?
    Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor. Die
Schritte kamen näher und ich fühlte einen Lufthauch, als die Vorhänge bewegt wurden.
    »Wie steht’s mit dir, du alter Mistkerl?«, fragte die Stimme. Die Stufen knarrten. »Plapperst du wieder Unsinn? Du bösartiger Höllenhund, es erfreut mein Herz, dich hier liegen zu sehen wie ein Stück Holz. Ich bereue nur, dass nicht ich es war, der dich niedergestreckt hat, Schweinebacke …«
    Der Fluch brach in der Mitte ab, und das war meine Schuld. Udos Haare kitzelten mich an der Nase, und wie sehr ich auch versuchte, mich zu beherrschen, konnte ich das Niesen doch nicht unterdrücken. Es war nur ein kleines Niesen, unscheinbar und flüchtig, weil mein Gesicht ja immer noch gegen Udos Rücken gepresst war. Ich hielt den Atem an und Udo zwickte mich – als ob ich eine Mahnung brauchte, um mucksmäuschenstill zu sein.
    »Also so was«, sagte die Stimme. »Ich habe noch nie von

Weitere Kostenlose Bücher