Flossen weg
der vor Licht pulsierte und feucht schimmerte, während die Wände zu atmen schienen. Also, das sah wie ein Lebewesen aus – das Innere eines Lebewesens. So hatte er es sich eigentlich vorgestellt, als er vom Wal gefressen worden war. Er ging hinein. Nach ein paar Schritten verschmolz die Rampe mit dem rötlichen Fleisch, von dem Nate nun sehen konnte, dass es mit Adern und etwas, bei dem es sich um Nerven handeln mochte, durchzogen war. Die Größe des Raumes konnte er nicht ausmachen. Dieser schien sich zu erweitern, um ihn zu empfangen, und hinter ihm zusammenzuziehen, als bewegte sich Nate in einer großen Blase. Als die Iris im rosigen Goo verschwand, spürte Nate, wie Panik in ihm aufkam. Er holte tief Luft – satte, feuchte Luft –, und seltsamerweise erinnerte er sich daran, was ihm Poynter und Poe im Buckelwalschiff erklärt hatten: Es ist einfacher, wenn man akzeptiert, dass man tot ist. Er atmete noch mal tief ein und schob sich ein paar Schritte vorwärts, dann blieb er stehen.
»Ich fühl mich hier drinnen wie ein verdammtes Spermium!«, schrie er. Scheiß drauf, er war ja sowieso schon tot. »Ich soll mich mit dem Colonel treffen.«
Bei dem Stichwort begann sich das Goo vor ihm zu öffnen, was aussah, als säße man im Innern einer sich entfaltenden Blüte. Helleres Licht beleuchtete den Raum, der nun gerade groß genug war, um Nate, eine zweite Person und etwa drei Meter Konversationsabstand zu beherbergen. In einer gewaltigen Masse aus rosafarbenem Goo, bekleidet mit einem Tropenanzug und mit einer Baseballkappe der San Francisco Giants auf dem Kopf, hatte es sich der Colonel bequem gemacht.
»Nathan Quinn! Schön, Sie zu sehen! Ist lange her«, sagte er.
29
Gespräche unter Toten
Nate hatte seinen alten Lehrer Gerard »Growl« Ryder vierzehn Jahre nicht zu Gesicht bekommen, aber abgesehen davon, dass er sehr blass war, sah der Biologe ganz genauso aus, wie Nate ihn in Erinnerung hatte: klein und kräftig, mit einem spitzen Kinn, und dazu langes, graues Haar, das stets drohte, ihm vor seine hellgrünen Augen zu fallen.
»Sie sind der Colonel?«, fragte Nate. Ryder war vor zwölf Jahren verschwunden. Verschollen bei den Aleuten.
»Ich habe eine Weile mit dem Titel herumgespielt. Ungefähr eine Woche war ich ›Menschenfleisch, der Mächtige‹, aber ich fand, das klang, als hätte ich etwas zu kompensieren, also habe ich etwas Militärisches gesucht. Es gab ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Käpt’n Nemo aus Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer und Colonel Kurtz aus Herz der Finsternis. Schließlich habe ich mich einfach zum ›Colonel‹ durchgerungen. Es klingt bedrohlicher.«
»Das tut es.« Wieder einmal kam die Wirklichkeit für Nate in eine kontextuelle Schräglage, und er gab sich alle Mühe, nicht abzurutschen. Dieser einstmals großartige, großartige Mann saß nun in einem Haufen Goo und sprach davon, wie er sein megalomanisches Pseudonym gewählt hatte.
»Tut mir Leid, dass Sie so lange warten mussten, bis ich Sie holen ließ. Aber da Sie nun hier stehen: Wie fühlt man sich in Gegenwart Gottes?«
»Bei allem Respekt, Sir, Sie haben sie doch nicht mehr alle.«
»Das ist irgendwie nicht richtig«, flüsterte Clay Libby Quinn ins Ohr. »Wir sollten keine Beerdigung abhalten, wenn Nate noch lebt.«
»Es ist keine Beerdigung«, sagte Libby. »Es ist ein Gottesdienst.«
Alle waren in die Schutzstation gekommen. In der ersten Reihe: Clay, Libby, Margaret, Kona, Clair und die Komische Alte. Weiter hinten: Cliff Hyland und Tarwater mit ihrem Team, der Graf und seine wissenschaftlichen Handlanger, Jon Thomas Fuller und sämtliche Bootsbesatzungen der Hawaii Whale Inc., die sich aus etwa dreißig Leuten zusammensetzten. Ganz hinten: Walpolizisten, Barkeeper und zwei Kellnerinnen aus dem Longee’s. Vom Hafen: Hausbootbesitzer und Charterkapitäne, der Hafenmeister, leichte Mädchen und Tauchlehrer, Deckshelfer und einer, der auf dem Tankanleger hinterm Kaffeetresen stand. Darüber hinaus Forscher von der University of Hawaii und – was seltsam genug war – zwei Schwarzkorallentaucher. Die Deckenventilatoren mischten ihre Gerüche in der abendlichen Brise. Clay hatte den Gottesdienst für den Abend angesetzt, damit die Forscher keinen Arbeitstag verloren.
»Trotzdem«, sagte Clay.
»Er war ein Löwe«, sagte Kona, und eine Träne schimmerte in seinem Auge. »Ein mächtiger Löwe.« Es war das größte Kompliment, das ein Rastafari einem Menschen machen konnte.
»Er ist
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