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Flowertown - Die Sperrzone

Flowertown - Die Sperrzone

Titel: Flowertown - Die Sperrzone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.G. Redling
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alles?« Sie schnappte sich eine Zigarette aus Bings Packung, um etwas mehr Licht in die Dunkelheit zu bringen und um sich wach zu halten. Sie konnte sehen, wie Bing an seinen Fingernägeln knabberte, während er in die Nacht hinausstarrte. »Du erzählst mir andauernd, dass irgendein Kram den Bach runtergeht, aber wessen Kram? Und warum? Die Armee? Warum sollte die Armee Feno-Gebäude in die Luft jagen? Warum sollte irgendjemand, der hier wohnt, die einzigen Gebäude in die Luft jagen, zu denen wir Zugang haben?«
    Sie merkte, dass die Logik ihrer Argumentation verpuffte, je stärker Müdigkeit und Gras ihre Gedanken benebelten. In der dunklen Nacht griff Bing über die Fensterbank hinweg nach ihrer freien Hand.
    »Wir leben in einer Welt, in der es legal ist, dass ich Gras verticke, aber ich werde verhaftet, wenn ich Müll auf die Straße werfe. Suchst du hier wirklich nach Logik?« Sie kannten beide die Antwort und saßen schweigend nebeneinander, bis das letzte Blinklicht ausging.
    Ellie schreckte aus dem Schlaf hoch. Wegen ihrer zusammengekrümmten Lage im Sessel plagte sie ein Krampf im Bein. Sie fluchte, noch bevor sie die Augen überhaupt öffnete, und warf sich auf den Boden, um ihr schmerzendes Bein auszustrecken. Der Strom war immer noch aus, die Kerzen schon längst heruntergebrannt und im Zimmer war es pechschwarz. Aber Ellie kannte Bings Apartment gut genug, um sich zurechtzufinden. Sie zwang sich dazu, aufzustehen. Der Krampf wütetein ihrem Wadenmuskel. Ihr Gehirn verlangte von ihrem Körper, sein Gewicht gleichmäßig auf beide Füße zu verteilen. Das würde den Krampf lindern. Was es auch tat, allerdings konnte Ellie erst nach ein paar Momenten des Zähnezusammenbeißens wieder ruhig atmen.
    Sie erinnerte sich weder daran, wie sie in dem Sessel gelandet war, noch daran, wie lange sie und Bing sitzen geblieben waren, ins Nichts starrend, über nichts redend. Sie sah Bings weiße Socken hinter einem mit Pflanzen zugestellten Couchtisch hervorlugen. Ihr Mund war so trocken, dass das Schlucken wehtat, und ihre Augen fühlten sich geschwollen und heiß an. Sie wollte etwas trinken, wusste aber, dass Bing nichts in seinem Apartment hatte. Er war wie eine Neptun-Wunderpflanze, die jahrelang ohne Wasser auskommen kann, und Ellie fragte sich manchmal, ob er sich ausschließlich von Gras ernährte.
    Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche und entsicherte das Display, damit sie dessen Licht auf dem Weg durch das zugerümpelte Wohnzimmer als Taschenlampe benutzen konnte. Sobald sie das Telefon über ihren Kopf hielt, piepste es. Sie hatte eine SMS bekommen.
    »Gehen die Telefone wieder?«, fragte Bing. In der Dunkelheit erschien seine Stimme stark.
    »Mist, Bing, du hast mir beinahe eine Herzattacke versetzt. Warst du die ganze Zeit wach?«
    »Nein.« Sie sah, wie er sich zwischen zwei kleinen Marihuanapflanzen aufsetzte. »Ich habe geträumt. Ich habe geträumt, dass die Telefone gehen. Tun sie das?«
    »Meins geht. Ich habe eine Nachricht bekommen.« Sie würde ihm nicht sagen, dass es eine neue Pillen-Erinnerung war.
    »Ist sie für mich?« Jetzt merkte Ellie, wie schlaftrunken die Stimme ihres Freundes eigentlich klang.
    »Ja, vom Nikolaus. Er kommt dieses Jahr nicht.«
    »Oh. Na gut.«
    Er legte sich wieder zwischen den Pflanzen hin. Selbst im Schlaf achtete er auf seine geldbringende Saat. »Ich checke meine Nachrichten etwas später.«
    »Ist gut, Bing. Schlaf schön.«
    Die Notbeleuchtung auf dem Flur ließ nach. Die Batterien waren wegen der ständigen Blackouts stark in Anspruch genommen. Überall herrschte Mucksmäuschenstille; die einzigen Geräusche, die Ellie auf dem Weg zum Treppenhaus ausmachen konnte, waren Schnarcher und Huster.
    Das Chaos des Abends war abgeklungen, zumindest für die Bewohner ihres Gebäudes. Auf den Treppen war es stockfinster, und Ellies Display warf nur ein mageres, kleines Bündel Licht vor ihre Füße. Aber als sie zwei Etagen hinter sich hatte, gewöhnte sich ihr Körper an den Rhythmus der Stufen, und sie trottete beruhigt bis in den dritten Stock hinunter.
    Auch hier empfing sie nichts als Stille. Sie schaute nicht einmal mehr hinunter auf ihre Füße, sondern verließ sich auf ihre Erinnerung und tastete sich den Flur entlang. Als sie die Toiletten rechts von ihr roch, wusste sie, dass nur noch wenige Schritte fehlten – drei Türen zu ihrer Linken, und sie würde ihr Zimmer erreicht haben. Ihre Finger fuhren die Wand entlang und zählten die Türpfosten, wenn sie

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