Fluch der 100 Pforten
Schmerzensschreien klangen.
In einer Ecke der Zelle lag ein großes Kissen, eins von der Sorte, wie Henry es schon mal für Hunde gesehen hatte.
Henry legte seinen Rucksack daneben. Dann bekam er eine Gänsehaut in dem stillen Raum. Er wusste nicht genau, was er jetzt tun sollte. Aber er konnte ja mal damit anfangen, sich wieder anzuziehen.
Er schlüpfte in seine Jeans und sein Shirt und ließ sich dann auf das Kissen fallen, um sich Strümpfe und Schuhe anzuziehen. Als er damit fertig war, lehnte er sich in die Ecke und starrte vor sich hin. Er hatte keine Ahnung, wie diese Komiteesitzungen üblicherweise abliefen, aber er hatte das Gefühl, dass das, was er gerade erlebt hatte, nicht unbedingt die Regel war. Der Großteil der Menge schien auf seiner Seite gestanden zu haben. Allerdings war er aber ganz sicher, dass sich Radulf und Braithwait und Rip kein bisschen darum scherten, was die Menge dachte.
Henry nahm seinen Rucksack und öffnete ihn. Er wühlte in ihm herum, bis er das Steakmesser gefunden hatte und seine Thunfischdose. Es würde nicht einfach werden, sie zu öffnen.
Schließlich aber, nachdem er sein Messer dabei stumpf gemacht hatte, war es ihm gelungen, den Deckel um den halben Rand herum zu durchlöchern. Er bog ihn hoch, klappte ihn nach hinten und lutschte für einen kurzen Moment an den kleinen Schnitten, die er sich dabei an den Daumen zugezogen hatte.
Er aß die Dose im Handumdrehen ratzeputz leer, knabberte sogar noch die Reste unter seinen Fingernägeln heraus und trank dann ohne zu zögern den Sud. Zusammen mit ein
paar Bissen Käse und Brot musste das als Mittagessen, Abendessen und vielleicht auch als Frühstück dienen.
Einen kurzen Moment lang überlegte er, ob das vielleicht seine Henkersmahlzeit gewesen war.
»Denk nicht so etwas«, sagte er leise. Er spürte, wie Angst und Verzagtheit über ihn kommen wollten. »Denk an etwas anderes.«
Aber was konnte das sein?
Onkel Frank? Tante Dotty? Seine Cousinen? Baseball? Boston? Seine erste Cola oder der Moment, als er den Ball zum ersten Mal mit dem optimalen Punkt des Schlägers getroffen hatte?
Er stand auf. Dann nahm er das kleine Messer und stellte sich damit an die Lehmwand. Er wollte eine Nachricht hinterlassen.
Der Lehm war härter als erwartet. Als wenn er irgendwie gebrannt worden wäre. Trotzdem hinterließ sein Messer Spuren auf der Oberfläche.
Zumindest war es einfacher, als eine Dose Thunfisch aufzumachen.
HENRY PHILLIP YORK brachte er ziemlich schnell zustande, so hoch oben an der Wand, wie er hinauflangen konnte. Aber was sollte er sonst noch schreiben? Was gab es noch zu sagen? Alle Elfen sind doof? Ich habe immer noch Hunger? Er schrieb einfach darunter (SIEBTER SOHN MORDECHAIS).
Henry lehnte sich gegen die Wand und dachte nach. Auf so eine Situation hatte ihn niemand vorbereitet. Eigentlich sollte jedermann ein paar vernünftige letzte Worte bereithalten. Schon in der Schule müsste man so etwas üben.
Was würde Onkel Frank denn sagen?
Schließlich ritzte Henry weiter. Er brauchte nicht allzu lange. Es war alles an Weisheit, was er hinterlassen konnte.
HENRY PHILLIP YORK
(SIEBTER SOHN MORDECHAIS)
Wenn der PitchBALL zu SChnell Kommt
Beiss die Zähne zusammen
Er machte einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk. Er war zufrieden. Klang sehr nach Onkel Frank. Und auch wenn es nicht wirklich seine letzten Worte sein würden – es war zumindest eine gute Übung. Fast mit einem Lächeln im Gesicht setzte er sich wieder auf sein Kissen und ließ das Messer erst mal neben sich liegen, falls ihm noch etwas Besseres einfiel.
Eine Weile pulte er sich in den Zähnen herum. Dann schloss er die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie er mit dem Ragganten neben sich in der Scheune saß und über die Felder blickte. Im Geist war er schnell an diesem Ort, aber seine Gedanken blieben nicht dort, sondern glitten immer wieder genau dahin zurück, wo er sich gerade befand.
Sein Großvater hatte seine letzten Worte ziemlich ausgiebig formuliert. Er hatte zwei Notizbücher dafür gebraucht. Aber das war nun wohl mal seine Art gewesen.
»Ziemlich anders als Onkel Frank«, sagte Henry, aber er kramte trotzdem in seinem Rucksack und zog die beiden mit Gummiringen zusammengehaltenen Kladden heraus.
Bisher war er über die Schreibweise seines Großvaters immer ungeduldig geworden, sein Stil, seine Wortwahl, die ganze Umständlichkeit. Aber jetzt hatte er ja Zeit, wenn er auch nicht wusste, wie viel, und er musste
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