Fluch der Nacht: Roman
war erst kürzlich hier gewesen. Was immer andere auch sagen mochten, der Geruch seines Pfeifentabaks, der sich mit dem metallischen von Blut vermischte, war noch viel zu frisch. Egal, wie lange es her war, sie konnte diese Geruchsmischung nicht vergessen; sie verursachte ihr Brechreiz.
Wenn du irgendwann das Gefühl hast, hier herauszumüssen, Lara, versuchte Nicolas sie zu beruhigen, sagst du es mir, und ich bringe dich ins Freie. Und dann werde ich zurückgehen und nach deinen Tanten suchen. Er wollte sie in die Arme nehmen, sie tröstend an sich drücken und ihr Geborgenheit und Sicherheit vermitteln. Niemand hatte auch nur eine Vorstellung davon, was es sie kostete, zu diesem Ort zurückzukehren, um wieder von den Qualen des kleinen Mädchens, das sie hier einmal gewesen war, verfolgt zu werden.
Danke . Sie sandte ihm Wellen der Wärme. Er ist hier gewesen, Nicolas. Vor ganz kurzer Zeit erst. Und falls er diese Räume immer noch benutzt, würde er sie nie ohne ernsthafte Fallen zurücklassen. Der Boden ist in Magie getaucht. Ich glaube, der ganze Raum da unten ist eine Falle.
Nicolas wechselte zu dem allgemein üblichen Kommunikationspfad der Karpatianer. Berührt hier nichts. Wir sollten uns schnell zum nächsten Raum begeben.
Lara versuchte, sich zu erinnern, wo sie die junge Frau, die eine Fehlgeburt gehabt hatte, gesehen hatte. Nehmt den linken Gang und bewegt euch langsam! Schon ein Lufthauch könnte einen Angriff auslösen.
Die vier schwebten so vorsichtig wie möglich den kurvigen Eistunnel hinunter, bis sie zu einer Reihe kleinerer Kammern kamen. Lara schnappte nach Luft, weil die Gerüche hier sie wie ein Faustschlag in den Magen trafen. Wasser tropfte von einer Wand und drang auch aus anderen Stellen aus, sodass Lara ein kontinuierliches Echo hörte, das immer lauter wurde, bis es ihr in den Ohren dröhnte und sie völlig desorientiert war.
Dieses Geräusch war ihr aus ihrer Kindheit in Erinnerung geblieben. Es schien ein Alarm zu sein, der durch die Höhle toste oder zischelte, sie aber vor den überall lauernden Monstern warnte. Ihr Herz schlug zu schnell, und sie konnte kaum noch richtig atmen, doch sie ging tapfer weiter und führte Nicolas auf die schrecklichen Kammern zu, in denen die Schreie der Opfer das unablässige Rauschen des Wassers übertönten.
Vor dem Raum, in dem Razvan angekettet gewesen war, blieb Lara stehen. Zusammen mit bitterer Galle stiegen Erinnerungen in ihr auf, und nicht einmal mit Nicolas’ Hilfe vermochte sie, die Nebelform beizubehalten. Sie musste sich auf den eisigen Boden knien und ihren Kopf nach unten halten, um nicht das Bewusstsein zu verlieren.
Nicolas legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Du brauchst das nicht zu tun, Lara.«
Sie atmete tief ein und nickte. »Doch. Es muss sein.«
Aber sie konnte nicht zu der Nische hinüberblicken, in der ihr Vater so oft und lange angekettet gewesen war. Wo sie geschlagen und getreten worden war, wo ihr die Haut vom Handgelenk gerissen worden war, damit scharfe, gierige Zähne sich in ihr Fleisch hineinbohren und ihr das Blut aussaugen konnten, bis ihr schwindelig wurde und sie keuchte und nach Atem rang. Sie erinnerte sich, wie sie, zu schwach, um aufzustehen, wie ein Hündchen über den Boden gekrochen war, dessen Eiseskälte ihr in Knie und Arme biss. Und Xavier hatte sie verhöhnt.
»Hier ist frisches Blut«, sagte Natalya. »Überall.« Sie berührte eine Handschelle, strich mit der Fingerspitze über das Blut und wurde blass, als sie daran schnupperte. »Razvan! Das ist das Blut meines Bruders. Er muss vor ein, zwei Tagen noch hier gewesen sein.« Das Blut war klebrig und geronnen, aber noch nicht getrocknet.
Vikirnoff sah sich die Handschellen genauer an. »Vampirblut muss ihn verbrannt haben, während er hier angekettet war.«
Lara erschauderte. »Hier ist so viel Blut – und habt ihr die Einstiche in der Wand gesehen? Schaut mal«, sagte sie und zeigte auf die Eiswand. »Das sieht aus, als hätte jemand mit etwas Langem auf ihn eingestochen und die Waffe wäre auf der anderen Seite wieder ausgetreten.«
Natalya strich prüfend mit der flachen Hand über die Wand, ohne die Blutflecken zu berühren. Lara konnte ihr Herz im gleichen Rhythmus wie das aus den Wänden kommende Wasser pochen hören. Natalya zitterte am ganzen Körper, als sie die Finger auf dem Blut ihres Zwillingsbruders liegen ließ.
»Hier ist etwas.«
Lara streckte ihre flache Hand aus, um den Energiestrom aufzuspüren. Er summte,
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