Fluch der Nacht: Roman
reicht nicht aus, das weiß ich.«
Lara zuckte die Schultern. »Es gibt Blutbanken. Ich brauche nicht Menschen dafür zu manipulieren, als wären sie Marionetten.« Sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu und begann, auf und ab zu gehen, um ein wenig Abstand zu ihm zu gewinnen.
Aber er schien überall zu sein, und seine Gegenwart ließ alles andere klein erscheinen. Als er schließlich stehen blieb, verharrte er so regungslos, dass sie den Jäger in ihm sehen konnte. Geduldig. Wie aus Erz gegossen. Abwartend. Und er konnte für immer warten. Panik erfasste sie, doch sie unterdrückte sie schnell wieder. Nein, Nicolas schien nur unbesiegbar, genau wie Razvan und Xavier, die ihr allmächtig erschienen waren, als sie ein Kind gewesen war. Aber sie war ihnen entkommen, obwohl sie es für unmöglich gehalten hatte, und sie konnte auch diesem Mann entkommen. Sie durfte nur nicht aufhören nachzudenken; sie musste sich konzentrieren.
Nicolas verschränkte die Arme vor der Brust. »Ohne Blut sterben wir. Ist es nicht besser, uns zu nehmen, was wir brauchen, ohne den Menschen zu erschrecken, und ihn dann ohne Erinnerung daran zurückzulassen, dass wir sein Blut genommen haben, als jemanden unnötig zu quälen?«
Laras Haar knisterte vor Energie, und ihre Augen waren blau wie Aquamarin geworden, erkannte Nicolas, als sie zu ihm herumfuhr. »Der Bauer hatte Angst. In dem winzigen Moment, bevor du in sein Bewusstsein eingedrungen bist, habe ich seine Angst gespürt . Und vorhin auf der Straße, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, hast du nicht einmal versucht, mich nicht wissen zu lassen, was geschah, als du mein Blut nahmst.« Ihre Hand glitt zu ihrem Gürtel, zu dem Messer dort, ihrer einzigen Waffe, falls Nicolas sie noch einmal angreifen sollte. Es war ein beruhigendes Gefühl, das kühle Heft der Waffe unter ihrer Hand zu spüren.
»Man kann nicht beides haben, Lara. Entweder willst du, dass ich seine Gedanken kontrolliere und ihn vor Furcht bewahre, oder du willst, dass ich mich einfach bloß ernähre, ohne mir den Kopf darüber zu zerbrechen, was der Spender fühlt.«
»Warum gehst du nicht zu einer Blutbank?«
Er setzte sich auf einen Felsen neben dem Teich. »Die Antwort darauf kennst du schon. Dieses Blut wirkt bei uns nicht. Wir können damit überleben, aber nicht gedeihen. Ich bekämpfe Vampire und muss jederzeit über meine volle Kraft verfügen können. Was soll ich deiner Meinung nach denn tun?«
Lara fuhr sich nervös mit beiden Händen durch das Haar. »Ich weiß es nicht. Etwas anderes, Respektvolleres. Menschen sollten nicht einfach so als Nahrungsquelle missbraucht werden. Sie haben Gefühle. Wir sind nicht nur hirnlose Marionetten.«
»Du bist nicht menschlich.«
Lara schob das Kinn vor. »Ich mag zwar einen Mischmasch von Blut in meinen Adern haben, wie es übrigens auch bei den meisten anderen Menschen ist, aber ich denke zweifelsohne wie ein Mensch. Ich weiß, wie es war, gefangen gehalten und hinausgeschleppt zu werden, damit mir jemand das Fleisch aufreißen und das Blut aussaugen konnte. Ihnen war es egal, wie verängstigt oder angeekelt ich war. Es kümmerte sie nicht, was ich dachte oder empfand. Ich kümmerte sie genauso wenig, wie dich dieser Bauer vorhin kümmerte.«
Nicolas’ dunkle Augen glitten über ihr Gesicht, als wollte er sich jede Einzelheit einprägen. »Sollte unsere Spezies ihr Leben aufgeben, weil wir das Blut anderer nicht ohne deren Einwilligung nehmen sollten? Wir sind vorsichtig und respektvoll.«
»Mir kam das nicht sehr respektvoll vor.« In Gedanken gab sie sich einen Tritt dafür. Was sollte dieses Streitgespräch, wenn sie ihn doch eigentlich hinters Licht führen und überlisten wollte? Sie musste ihn ablenken, Smalltalk mit ihm halten, mit honigsüßer Stimme, vielleicht sogar ab und zu etwas Humorvolles einwerfen ... kurz, sich aller Tricks bedienen, die sich als so wertvoll für sie erwiesen hatten, als sie aufgewachsen war. Gespräche lenkten die anderen ab.
Konfrontationen dagegen machten sie unruhig und warnten sie, dass sie es mit jemandem zu tun hatten, der Macht besaß. Außerdem reagierte ihr Körper auf ihre Stimmungen. Die Pflegefamilien, bei denen sie aufgewachsen war, hatten sich alle irgendwann unwohl gefühlt mit einem Kind, dessen Haar- und Augenfarbe wechselten, wenn es verärgert war. Sie nahm es ihnen nicht übel, dass sie angenommen hatten, sie sei ein Kind des Teufels; viele von ihnen waren abergläubisch gewesen, und wenn sie
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