Fluch der Nacht: Roman
ehrlich sein sollte, war sie ja auch ein Kind des Teufels ... oder zumindest doch die Ururenkelin des Teufels.
Nicolas griff nach ihrer Hand. Seine Handfläche legte sich über die ihre – Haut an Haut. Ihr Magen machte einen Satz, als seine Finger sich um ihre legten, und ihr Herz wollte sich schier überschlagen. Sie holte tief Luft, blickte zu ihm auf und fühlte sich sofort gefangen – gefesselt -, wie hypnotisiert von der Heftigkeit in seinem Blick. Er drehte ihre Hand um und legte sie an seine Brust.
»Ich habe Hunderte von Jahren gelebt, Lara. Ich wurde schon mit der Düsternis in mir geboren, und ich habe sie in jedem Moment meiner Existenz bekämpft, mit nichts anderem als Ehre. Ich versuche nichts zu entschuldigen, ich möchte nur, dass du verstehst. Heute Abend war ich gefährlich nahe dran, der Finsternis in mir nachzugeben, und du hast mich davor bewahrt. Wir sind aneinander gebunden, aber das Ritual ist noch nicht vollendet. Vielleicht war ich bei dem Bauern ein bisschen gröber, als ich wollte, doch wenn ich ihn nicht beruhigt hatte, bevor er etwas merkte, war das keine Absicht.«
Sie befeuchtete die trockenen Lippen. Tief im Innersten, wo ihr Selbsterhaltungstrieb saß, hörte sie sich schreien: »Nein, nein, sei still, lass dich nicht darauf ein!«, aber es war zu spät, die Worte strömten nur so aus ihr heraus. »Da war ein Rausch, den ich spüren konnte, ein Rausch, der dich erfasste, als du den Mann ergriffen hast. Du bist süchtig danach, Nicolas. Es muss ein erstaunliches Gefühl sein, über jemand anderen die absolute Macht zu haben, für diesen einen Moment ein Leben in deiner Hand zu halten und die Entscheidungen dafür zu treffen.« Sie schob das Kinn vor und entzog ihm ihre Hand. »Vielleicht war es ja das, was dich in all den Jahren aufrechterhalten hat, und nicht die Ehre.«
Von jäher Wut erfasst, trat Nicolas zurück. Als er Laras Bewusstsein anrührte, wich er entsetzt zurück und entfernte sich ein paar Schritte, obwohl er sie am liebsten gepackt und geschüttelt hätte. Wie konnte sie es wagen, seine Jahrhunderte des treuen Dienstes so einfach zu verwerfen, seinen Kampf gegen die Finsternis, die sich sein ganzes Leben lang tagtäglich wie ein Monster in ihm erhob? Schlimmer noch – was für eine Art von Seelengefährtin würde ihren Gefährten verwundbar und hilflos allein lassen, und das aus rein egoistischen Überlegungen, die weder logisch noch vernünftig waren? Er konnte ihren Plan so klar und deutlich sehen wie seine eigene Hand vor Augen – sie wartete nur darauf, dass ihn der tiefe Schlaf seiner Spezies übermannte, um zu gehen und ihn allein und ohne Schutzzauber in seiner Höhle zurückzulassen.
Er war schon seit Jahrhunderten nicht mehr in Wut geraten, aber jetzt stieg sie in ihm hoch, eine schwarze Wand aus unkontrollierbarem Zorn. Niemand stellte seine Autorität infrage, und niemand hatte je an seiner Integrität gezweifelt. Und sie hatte innerhalb weniger Momente beides getan.
Seine schwarzen Augen loderten vor Zorn, der Atem entwich ihm in einem langen, scharfen Zischen. »Du denkst daran, mich zu verlassen, sowie ich dem tiefen Schlaf meines Volkes erliege? Das würdest du tun? Mich schutzlos und ohne magische Barrieren hier zurücklassen, obwohl du weißt, dass ich mich überhaupt nicht zur Wehr setzen könnte, wenn ich gefunden würde? Du weißt, was meine Feinde tun würden, wenn sie meinen Körper fänden, und trotzdem würdest du mich derart hintergehen?«
Die Wellen des Zorns, die von ihm ausgingen, überschwemmten Lara und ließen sie vor ihm zurücktaumeln. Er sah jetzt wirklich wie ein Wolf aus, mit seinen gebleckten Zähnen und dem harten, grausamen Zug um seinen Mund. Es gab kein Erbarmen in ihm für seine Feinde, und als er gesehen hatte, dass sie vorhatte, ihn Gefahren auszusetzen, war sie zu seiner Feindin geworden.
Ein Schrei stieg in ihrer Kehle auf, aber sie unterdrückte ihn, drehte sich auf dem Absatz um und rannte los – wohin, wusste sie selbst nicht. Sie wusste nur, wenn sie blieb, würde die volle Wucht seines Zornes sie treffen, und er sah ganz so aus, als könnte er sie umbringen.
Schnell wie ein Löwe, der keine Mühe hatte, seine Beute einzuholen, war er bei ihr, riss sie zurück und drehte sie zu sich um. Lara warf ihren freien Arm hoch, um sich vor Schlägen zu schützen, die jedoch ausblieben. Stattdessen packte Nicolas sie an den Oberarmen und schüttelte sie einmal hart. »Ich schlage keine Frauen. Aber wenn eine es
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