Fluch, Der: Roman
Wichtigste.
Du solltest dich innerlich darauf vorbereiten.«
Billy spürte einen Stich in der Magengrube, so als führe ein scharfer Glassplitter durch seine Eingeweide. Vor Angst und Aufregung war ihm ganz übel.
»Wen? Lemke?«
»Lemke«, bestätigte Ginelli. »Nun laß mich aber erst duschen. William. Bin wohl doch nicht mehr so jung, wie ich dachte - die ganze Aufregung hat ganz schön Nerven gekostet.« Und über die Schulter zurückrufend: »Bestell bitte Kaffee. Eine Menge Kaffee. Sag dem Kellner, er soll das Tablett einfach draußen abstellen und die Rechnung unter der Tür durchschieben, damit du sie unterschreiben kannst.«
Billy stand da und sah ihm mit offenem Mund nach. Als er die Dusche rauschen hörte, klappte er den Mund zu und ging zum Telefon, um den Kaffee zu bestellen.
22. Kapitel: Ginellis Geschichte
Er erzählte zu Anfang hastig und unterbrach sich dann öfters, um zu überlegen, was als nächstes drankäme. Zum erstenmal, seit er am Montagnachmittag im Bar Harbor Motor Inn aufgetaucht war, wirkte er wirklich total erschöpft. Die Verletzungen waren nicht allzu schlimm, eigentlich nur ein paar tiefere Kratzer, aber Billy merkte, daß er regelrecht erschüttert war.
Und trotzdem begann das irre Funkeln in seinen Augen wieder zu tanzen. Zuerst flackerte es wie eine Neonröhre, die man bei einbrechender Dunkelheit anschaltet. Dann leuchtete es beständig. Er zog einen Flachmann aus der Tasche und schüttete eine Kappe voll Chivas in seinen Kaffee.
Dann bot er Billy die Flasche an. Billy lehnte ab - er wußte nicht, wie der Alkohol sich auf sein Herz auswirken würde.
Ginelli richtete sich in seinem Stuhl auf, strich mit beiden Händen die Haare zurück und fing in normalem Tempo zu erzählen an.
Am Dienstagmorgen um drei Uhr hatte er den Wagen in einem Waldweg geparkt, der in der Nähe des Zigeunerlagers von der Route 37-A abzweigte. Er hatte sich eine Weile mit den Steaks beschäftigt, die Einkaufstüte unter den Arm geklemmt und war zum Highway zurückgegangen. Große Wolken hingen wie Vorhänge vor dem Halbmond. Er hatte gewartet, bis sie weiterzogen, und als der Himmel für einen Augenblick klar war, hatte er die im Kreis aufgestellten Fahrzeuge ausmachen können. Er war über die Straße gegangen und dann querfeldein auf das Lager zugelaufen.
»Ich bin zwar ein Stadtmensch, aber mein Orientierungssinn ist nicht ganz so schlecht, wie er sein könnte«, sagte er.
»Notfalls kann ich mich auf ihn verlassen. Und ich wollte nicht so ins Lager spazieren, wie du es getan hast, William.«
Er war also über die Felder gelaufen und dabei durch ein kleines Gehölz gekommen. Kurz darauf war er durch eine kleine Sumpfwiese gewatet, die, wie er sagte, nach zwanzig Pfund Scheiße in einem Zehnpfundsack gestunken hatte.
Außerdem hatte er sich mit dem Hosenboden in einem Stacheldrahtzaun verfangen, der in der mondlosen Dunkelheit schlichtweg nicht zu sehen gewesen war.
»Wenn das alles die Freuden des Landlebens sind, William, dann dürfen die Trottel es von mir aus geschenkt haben.«
Von den Hunden im Lager hatte er sich keine Schwierigkeiten erwartet. In diesem Fall war Billy ein guter Beweis; sie hatten nicht einen Laut von sich gegeben, bis er direkt ans Lagerfeuer getreten war. Aber sie mußten ihn hundertprozentig schon lange vorher gewittert haben.
»Man sollte glauben, Zigeuner hätten bessere Wachhunde«, kommentierte Billy. »Wenigstens entspricht das ihrem Image.«
»Nee«, widersprach Ginelli. »Die Leute finden schon genug Gründe, Zigeuner aus der Stadt zu jagen, ohne daß sie ihnen noch mehr Anlässe bieten müssen.«
»Wie Hunde, die die ganze Nacht lang bellen?«
»Genau. Du bist schon viel klüger geworden, William.
Bald wird man dich für einen Italiener halten.«
Ginelli war aber trotzdem kein Risiko eingegangen. Leise hatte er sich an den Wagen vorbeigeschlichen. Die Laster und Campingwagen, in denen Leute schlafen konnten, hatte er übergangen und nur in die Kombi- und Personenwagen hineingespäht. Er hatte nur zwei, drei Wagen untersuchen müssen, bis er gefunden hatte, was er wollte: eine alte Anzugjacke, die zusammengeknüllt auf dem Vordersitz eines Pontiac-Kombi lag.
»Der Wagen war nicht abgeschlossen«, erzählte er. »Die Jacke paßte gar nicht mal so schlecht, aber sie roch, als ob in jeder Tasche ein Wiesel gestorben wäre. Auf dem Boden im Fond fand ich noch ein Paar Turnschuhe. Die waren ein bißchen sehr eng, aber ich habe mich trotzdem
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