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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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verzweifelten Augenblick lang schien es fast unmöglich, sich nicht zu übergeben. Er kämpfte verbissen dagegen an, um das Abendessen bei sich zu behalten – jetzt brauchte er jede Nahrung, brauchte diese lebenswichtigen, gesunden Kalorien.
    Schließlich ging die Übelkeit vorüber. Er-sah auf die geeichte Skala hinunter und mußte dumpf daran denken, was Heidi damals gesagt hatte - Sie zeigt nicht zuviel, sie zeigt eher zuwenig an. Er mußte daran denken, daß Michael Houston ihm gesagt hatte, 217 wären immerhin noch dreißig Pfund über seinem Höchstgewicht.
    Jetzt nicht mehr, Mikey, dachte er müde. Jetzt bin ich ... dünner.
    Er trat von der Waage herunter und empfand nun eine gewisse Erleichterung - die Art von Erleichterung, die ein zu Tode Verurteilter empfinden mochte, wenn er um zwei Minuten vor zwölf den Henker und den Priester vor seiner Zelle stehen sieht, wissend, daß das Ende gekommen ist und daß der Gouverneur das Urteil nicht widerrufen wird. Natürlich gab es noch einige Formalitäten zu erledigen, ja, gewiß, aber das war auch alles. Jetzt wurde es ernst. Wenn er mit den Leuten darüber reden würde, hielten sie ihn sicher für verrückt oder glaubten, er würde sich einen Scherz mit ihnen erlauben - heutzutage glaubte doch keiner mehr an Zigeunerflüche, und vielleicht hatte man es nie getan. Sie waren uninteressant geworden in einer Welt, die Hunderte von Marinesoldaten in Särgen aus dem Libanon hatte zu-rückkehren sehen, in einer Welt, die fünf IRA-Gefangenen dabei zugesehen hatte, wie sie sich zu Tode hungerten, ganz zu schweigen von anderen Grauenhaftigkeiten. Aber nichtsdestotrotz war es wahr. Er hatte die Frau des alten Zigeuners mit der abfaulenden Nase getötet, und sein zeitweiliger Golfpartner, der gute alte busengrapschende Richter Cary Rossington hatte ihn damit durchkommen lassen, ohne ihm auch nur auf die Finger zu klopfen. Folglich hatte der alte Zigeuner beschlossen, seine eigene Art von Gerechtigkeit an einem fetten weißen Rechtsanwalt aus Fairview und seiner Frau zu üben, die den falschen Tag dafür gewählt hatte, ihren Mann zum erstenmal im fahrenden Wagen zu wichsen. Es war eine Art von Gerechtigkeit, die ein Mann wie sein zeitweiliger Freund Richard Ginelli vermutlich zu schätzen wüßte.
    Halleck schaltete das Badezimmerlicht aus und ging die Treppe hinunter, wobei er sich wie ein Todeskandidat vor-kam, der seine letzte Meile zurücklegte. Keine Augenbinde, Pater... aber hat vielleicht jemand 'ne Zigarette ßr mich? Er lächelte trübe.
    Heidi saß an seinem Schreibtisch. Die Rechnungen hatte sie links von sich gestapelt, vor ihr leuchtete der grüne Bild-schirm, das Kontobuch klemmte wie ein Notenblatt hinter der Tastatur. Ein ganz normaler Anblick an wenigstens einem der normalen Abende in der ersten Woche eines neuen Monats. Aber sie schrieb keine Schecks aus und rechnete auch keine Zahlenkolonnen zusammen. Sie saß einfach da, eine Zigarette zwischen den Fingern, und als sie sich zu ihm umdrehte, sah Billy soviel Kummer in ihren Augen, daß es ihm einen beinahe körperlichen Schlag versetzte.
    Er mußte wieder an die selektive Wahrnehmung denken, diese seltsame Fähigkeit, die Dinge, die man nicht sehen wollte, einfach nicht zu sehen... zum Beispiel die Tatsache, daß man seinen Gürtel enger und enger schnallte, um die viel zu weite Hose noch über der schmaler werdenden Taille halten zu können, oder die dunklen Ringe unter den Augen der eigenen Frau ... oder die verzweifelte Frage, die in diesen Augen lag.
    »Ja, ich nehme noch ab«, sagte er.
    »Oh, Billy.« Sie atmete mit einem langen, zitternden Seufzer aus. Aber sie sah schon ein wenig besser aus, und Halleck nahm an, daß sie froh war, daß es jetzt ausgesprochen war.
    Sie hatte nicht gewagt, es anzusprechen, genauso wie keiner aus seinem Büro den Mut aufgebracht hatte, ihm offen ins Gesicht zu sagen: Deiner Kleider sehen langsam so aus, als ließest du sie bei Omar, dem Zeltmacher, schneidern, Billy-Boy. Sag mal  ... du hast doch nicht irgendein Geschwür oder so was! Hat jemand dich mit dem Krebsstab berührt, Billy? Wurdest du angesteckt?
    Du hast einen großen, schwarzen, saftigen Tumor in dir, nicht wahr?
    So eine Art verrottender, menschlicher Gißpilz tief unten in deinen Eingeweiden, der dich langsam, aber sicher auf frißt? O nein, so was sagte niemand zu ihm; das ließen sie einen lieber selbst herausfinden. Eines Tages vor Gericht springt man auf, um in der besten Perry-Mason-Manier

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