Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
diejenigen parat haben, die sich unabsichtlich danebenbenehmen. Es gelang ihr nicht. Sie zog nur die Lippen etwas hoch – kein Lächeln, sondern eine Grimasse.
    »Habe ich Schwester gesagt? Ach, es ist alles so ermüdend für mich - für uns. Ich meinte seinen Bruder. Sein...«
    »Leda, Cary ist ein Einzelkind«, unterbrach Halleck sie freundlich. »Wir sind an einem versoffenen Nachmittag in der Hastur Lounge unsere gesamte Verwandtschaft durchgegangen. Muß so ... hm, vier Jahre her sein. Kurz darauf ist das Hastur abgebrannt. Heute steht dort ein Kleiderladen.
    King in Yellow. Meine Tochter kauft ihre Jeans immer dort.«
    Er wußte nicht, warum er weiterquasselte. Ganz vage hatte er das Gefühl, daß sein Gerede sie beruhigen könnte. Doch plötzlich sah er im Flurlicht und im schwachen Licht-schimmer, der von der schmiedeeisernen Straßenlaterne auf sie fiel, daß eine einzelne Träne eine schimmernd nasse Spur von ihrem rechten Auge bis zum Mundwinkel auf ihre Wange malte. Und auf dem unteren linken Augenlid glänzte es schon. Als Billy sie ansah, während seine Worte sich verhedderten, als er dann verwirrt aufhörte, blinzelte sie zweimal schnell hintereinander, und die Träne floß über.
    Auf ihrer linken Wange erschien eine zweite helle Spur.
    »Geh weg«, sagte sie. »Bitte, Billy, geh weg. Stell mir keine Fragen. Ich will sie nicht beantworten. In Ordnung?«
    Bill sah sie forschend an und entdeckte in ihren in Tränen schwimmenden Augen eine bestimmte Unerbittlichkeit. Sie hatte nicht die Absicht, ihm zu sagen, wo Cary war. Aus einem Impuls heraus, den er weder damals noch später begriff, ohne eine Überlegung oder die Hoffnung, etwas für sich dabei zu gewinnen, riß er den Reißverschluß seines Anoraks herunter und hielt die Jacke auf, so als wolle er sich nackt vor ihr präsentieren. Er hörte, wie sie überrascht Luft holte.
    »Sieh mich an, Leda«, forderte er sie auf. »Ich habe siebzig Pfund abgenommen. Hörst du mich? Siebzig Pfundl«
    »Das hat nichts mit mir zu tun!« rief sie mit leiser, rauher Stimme. Ihr Gesicht zeigte eine kränkliche, lehmartige Färbung. Das Rouge stach auf ihren Wangen hervor wie die grellroten Farbkleckse eines Clowns. Ihre Augen waren gerötet. Ihre Lippen gaben die perfekten weißen Zähne frei und bildeten ein erschrecktes, höhnisches Grinsen.
    »Nein, aber ich muß mit Cary darüber sprechen«, bedrängte Billy sie hartnäckig. Er ging, den Anorak immer noch offen, die Verandatreppe bis zur obersten Stufe hinauf.
    Ich muß, dachte er. Bisher war ich noch unsicher, aber jetzt weiß ich's. »Bitte, Leda, sag mir, wo er ist. Ist er hier?«
    Sie antwortete ihm mit einer Frage, und einen Augenblick lang konnte er daraufhin nicht mehr atmen. Mit einer tauben Hand klammerte er sich ans Verandageländer.
    »Waren das die Zigeuner, Billy?«
    Schließlich konnte er wieder einatmen. Er keuchte.
    »Wo ist er, Leda?«
    »Beantworte zuerst meine Frage. Waren es die Zigeuner?«
    Jetzt, da sie da war – die Gelegenheit, es tatsächlich laut auszusprechen –, stellte er fest, daß er um die Worte ringen mußte. Er schluckte - schluckte kräftig – und nickte. »Ja.
    Ich glaube es. Ein Fluch. So etwas wie ein Fluch.« Er unterbrach sich. »Nein, nicht so etwas wie ein Fluch. Diese beschissenen Ausflüchte. Ich glaube, daß ein Zigeunerfluch auf mir liegt.«
    Er wartete darauf, daß sie in hämisches Gelächter ausbräche - er hatte diese Reaktion in seinen Träumen schon so oft heraufbeschworen -, aber sie ließ nur den Kopf fallen und die Schultern sinken. Sie bildete ein solch erschütterndes Bild von Niedergeschlagenheit und Trauer, daß er trotz seines neuerlichen Schreckens ein beinahe schmerzliches Mitleid für sie empfand - für ihre Verwirrung und ihre Angst. Er stieg die letzte Stufe zu ihr hinauf und berührte sie leicht am Arm... und fuhr dann entsetzt zurück, als er den lodernden, haßerfüllten Blick in ihren Augen sah, als sie den Kopf hob. Er trat sofort einen Schritt zurück, blinzelte...
    und mußte sich wieder am Verandageländer festhalten, sonst wäre er die Treppe hinuntergestürzt und auf seinem Hintern gelandet. Ihr Gesichtsausdruck war die vollkommene Entsprechung zu dem Haß, den er erst vor ein paar Nächten sekundenlang Heidi gegenüber verspürt hatte.
    Es schien ihm unerklärlich, ja beängstigend, daß jemand einen solchen Haß gegen ihn richten konnte.
    »Du bist schuld!« fauchte sie ihn an. »Es ist alles deine Schuld. Warum mußtest du auch

Weitere Kostenlose Bücher