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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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genauso schön, wie er es damals vermutet hatte. Sie hieß Angelina Lemke. Er legte ihr Foto neben das von Samuel Lemke. Bruder und Schwester. Die Enkelkinder von Susanna Lemke? Die Urenkel von Taduz Lemke?
    Hier der ältere Mann, der die Spielzeugflieger ausgeteilt hatte - Richard Crosskill. Es gab auch noch andere Crosskills. Stanchfields. Starbirds. Und noch mehr Lemkes. Und dann ... fast ganz zuletzt ...
    Das war er. Seine Augen, eingebettet in ein Netz winziger Fältchen, waren dunkel und ausgeglichen. Sie blickten ihn voll klarer Intelligenz an. Er hatte ein Taschentuch über den Kopf gebunden, das über der linken Wange geknotet war.
    Im Winkel seines eingefallenen Mundes klemmte eine Zigarette. Die Nase: eine einzige, offene, schwärende Wunde.
    Der Horror.
    Billy starrte das Bild wie hypnotisiert an. Etwas an dem alten Mann schien ihm altvertraut, irgendeine Verbindung, die er aber nicht ganz festmachen konnte. Dann kam's. Taduz Lemke erinnerte ihn an die alten Männer in den Kefir-Reklamen, die im russischen Georgien lebten, starke, filterlose Zigaretten rauchten, siebzigprozentigen Wodka soffen und ein atemberaubendes Alter von hundertdreißig, hundertfünfzig, ja, hundertsiebzig Jahren erreichten. Und dann fiel ihm eine Zeile aus Jerry Jeff Walkers Schlager Mr. Bojangles ein: ›Er sah mich an mit Augen, aus denen das Alter sprach ...‹
    Ja. Genau das fand er im Gesicht von Taduz Lemke – er hatte die Weisheit des Alters in seinen Augen. Ein Hauch von Ewigkeit. In diesen Augen entdeckte Billy ein tiefes Wissen, das die gesamten Erkenntnisse des zwanzigsten Jahrhunderts in den Schatten stellte. Er zitterte plötzlich.
    Als er an diesem Abend auf die Waage im Bad seines spitz zulaufenden Zimmers stieg, wog er noch 117 Pfund.

18. Kapitel: Die Suche
    Old Orchard Beach hatte die Kellnerin gesagt. Das ist die honky-tonkieste Stadt von allen. Der Angestellte an der Rezeption hatte ihre Aussage bestätigt. So auch das Mädchen in der Touristeninformationsstelle am Highway vier Meilen hinter der Stadt, obwohl sie sich dagegen verwahrt hatte, es so unverblümt auszudrücken. Billy lenkte seinen Mietwagen also Richtung Old Orchard Beach, das achtzehn Meilen weiter südlich lag.
    Schon eine Meile vor dem Strand schlich der Verkehr nur noch langsam, Stoßstange an Stoßstange, die Straße entlang.
    Die meisten Autos in dieser Parade hatten kanadische Nummernschilder. Darunter waren viele asthmatische Veteranen, groß genug, ganze Footballteams zu transportieren.
    Die meisten Menschen, die Billy sah, egal ob im kriechenden Verkehr oder auf den Bürgersteigen, waren so spärlich bekleidet, wie das Gesetz es gerade noch erlaubte, manche stellten auch – in Mini-Bikinis und winzigen Badehosen – eine Unmenge von vor Sonnenöl glänzendem Fleisch zur Schau.
    Billy hatte seine Blue-Jeans, ein weißes Hemd mit offenem Kragen und sein Sportjackett an, und obwohl die Klimaanlage auf Volltouren lief, schwitzte er hinter dem Steuer wie ein Berserker. Aber er hatte nicht vergessen, wie der Zimmerkellner ihn angestarrt hatte. Er würde kein Kleidungsstück mehr ablegen, und wenn seine Turnschuhe abends voller Schweißlachen stünden.
    Der Verkehr kroch durch die Salzmarschen, schlich an gut zwei Dutzend Hummer- und Krabbenverkaufsbuden vorbei und wand sich dann durch ein Gebiet, das dicht mit Sommerhäuschen bebaut war. Sie standen eng zusammengedrängt. In den Vorgärten saßen ähnlich spärlich bekleidete Leute auf ihren Gartenstühlen und aßen, lasen in irgendwelchen Taschenbüchern oder schauten nur dem endlos fließenden Verkehr zu.
    Himmel, dachte Billy, wie halten die bloß den ganzen Abgasgestank aus? Doch dann fiel ihm ein, daß sie es vielleicht ganz gern so mochten. Vielleicht war das sogar der Grund, warum sie lieber hier als am Strand saßen. Es erinnerte sie an zu Hause.
    Die Sommerhäuser wichen Motels mit Reklameschildern: ON PARLE FRANCAIS ICI und TAUSCHE KANADISCHE DOLLAR ZUM NENNWERT AB 250 DOLLAR und MITTERNACHTSPORNOS IM KABELFERNSEHEN und NUR DREI MINUTEN ZUM STRAND BON JOUR A NOS AMIS DE LA BELLE PROVENCE!
    Dann wurden die Motels seltener; es folgte eine Hauptstraße, an der größtenteils Andenkenläden standen, Geschäfte, in denen verbilligte Fotoapparate zu kriegen waren, und natürlich die Warenhäuser für schmutzige Literatur. Jugendliche in abgeschnittenen Jeans und Bikinioberteilen schlenderten den Bürgersteig auf und ab. Manche hielten sich an den Händen, andere blickten völlig

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