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Fluch von Scarborough Fair

Fluch von Scarborough Fair

Titel: Fluch von Scarborough Fair Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Werlin
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mit Namen wie » Lady Anwariel« und » Lord Hadreth«. Sie lasen Bücher über Elbensprache und Elbenschrift, besuchten Versammlungen und spielten ausgeklügelte Online- und Rollenspiele auf dem Schauplatz Mittelerde. Außerdem redeten sie von Elben, als gäbe es sie tatsächlich, genau wie Miranda in ihrem Tagebuch.
    Für Zach war es unvorstellbar, selbst in aller Öffentlichkeit ein Schwert zu schwingen und dabei etwas auszurufen wie: » Solange ich noch atmen kann, wird Minas Tirith nicht fallen!« Aber er hatte nichts gegen Leute, die das tun wollten. Außerdem schienen sie jede Menge Spaß daran zu haben.
    Was, wenn Miranda wie diese Tolkien-Fans gewesen war? Möglicherweise verbarg sich hinter dem sogenannten Elfenritter in Wirklichkeit irgendein Typ in einem Kostüm. Vielleicht hatte ihr jemand einen gemeinen Streich gespielt.
    Wenn Miranda zu diesem Zeitpunkt tatsächlich schon ein bisschen verrückt war, könnte es auch sein, dass sich die Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit verwischt und sie sich eine Geschichte rund um ihre Schwangerschaft ausgedacht hatte.
    Vielleicht fühlte es sich für Miranda besser an, zu behaupten, sie sei von einem bösen Elf verraten worden, anstatt von einer Enttäuschung mit einem ganz gewöhnlichen Typen zu berichten. Vielleicht half ihr das, mit der Situation besser klarzukommen.
    Zach fragte sich sogar, ob Miranda möglicherweise wie Lucy vergewaltigt anstatt verführt worden war. Wenn das der Fall war, musste sie vielleicht rein gefühlsmäßig die unangenehme Wahrheit durch eine erfundene Geschichte ersetzen, eine Geschichte, mit der sie leben konnte, während sie allein, ohne Freunde und ängstlich durch die Straßen von Boston wanderte.
    Lucy konnte der Wahrheit ins Gesicht sehen, weil sie Freunde und eine Familie hatte. Aber Miranda musste sich wohl in eine Fantasiewelt flüchten. Manchmal konnte es ein Segen sein, sich etwas vorzumachen.
    Fast hätte Zach all das, was er sich einredete, tatsächlich geglaubt, als ihm Mirandas Brief an Lucy einfiel, und wie er ihn beurteilt hatte. Und wie vernünftig, klar formuliert und liebevoll er war.
    Es war ein wirklich merkwürdiger Zufall, dass Lucy ebenso mit achtzehn ein Kind bekommen würde wie Miranda damals. Und stimmte die Sache mit Deirdre?
    Außerdem gab es da natürlich noch Lucys Geschichte von dem Abschlussball und Fenella.
    Was würde es bedeuten, wenn Lucy– oder er– zu der Überzeugung gelangten, dass Miranda vor Lucys Geburt tatsächlich nicht verrückt war?
    Schließlich war Lucy mit der zweiten, eingehenderen Lektüre der Seiten aus Mirandas Tagebuch fertig.
    Sie sah zu Zach hinüber. Die Information, nach der sie gesucht hatte, schien sich wie ein seltsam geformtes Puzzleteil in ihr Bewusstsein zu schieben. Sie hatte jetzt Mirandas Lied im Ohr. Die Ballade. » Scarborough Fair«. » Der Elfenritter«. Sie konnte Leos Stimme hören, wie er ihr vor vielen Jahren geduldig das Lied beigebracht hatte, und sie hörte ihn sagen, dass es ein Geschenk von Miranda an sie gewesen sei.
    Miranda hatte Angst, Leo und Soledad die ganze Geschichte zu erzählen, dachte Lucy. Sie fürchtete, sie könnten sie für verrückt halten. Aber immerhin brachte sie Leo das Lied bei, und er wiederum sollte es mir beibringen.
    Obwohl es sich vielleicht verrückt anhörte, ergab alles einen Sinn.
    Letztendlich war es die Sache mit Fenella, die Lucy überzeugte.
    Deine Ahnin Fenella.
    » Sieh mich nicht so an«, sagte Lucy zu Zach. » Denk dran, dass ich ein sehr vernünftiger Mensch bin. Das gehört zu meiner Persönlichkeit und war schon immer so. Mrs Foster ist das schon in der dritten Klasse aufgefallen– sie meinte, das könne auf mangelnde Fantasie hindeuten.«
    In diesem Augenblick hielt Lucy es für angebracht, mal wieder tief Luft zu holen, aber es sah so aus, als hätte eine Sprechmaschine die Kontrolle über sie.
    » So ist es und so wird es bleiben«, fuhr sie fort. » Ich bin wie ich bin. Okay? Und du, Zach, bist auch sehr vernünftig. In diesem Haus sind überhaupt alle vernünftig. Außer Soledad. Zumindest manchmal. Und außer Miranda natürlich. Miranda hat wirklich eine Meise. Die Frage ist nur, ob das schon immer so war.«
    » Luce–«
    » Hör mal, Zach. Ich verstehe sehr gut, warum du denkst, ich müsste furchtbar durcheinander sein. Aber das bin ich ganz und gar nicht. Wie ich vorhin sagte, hab ich mit irgendwelchem seltsamem, wirrem Zeug auf diesen Seiten gerechnet. Und es klingt tatsächlich verrückt, oder

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