Flucht aus Oxford
furchtbar für mich, sie heute Morgen so aufzufinden. Was war das für ein Zeug an ihrem Mund?«
»Haben Sie das Mädchen früher schon einmal gesehen?«, erkundigte sich Tim, ohne ihre Frage zu beachten.
»Ich? Nein! Wieso sollte ich? Mit solchen Leuten habe ich nichts zu tun.«
»Sie hat sich also nicht um Ihren Garten gekümmert?«
»Nie im Leben hätte Derek eine solch zwielichtige Gestalt in unseren Garten gelassen. Wir haben einen Vertrag mit einer Firma, die einmal in der Woche aus Oxford kommt. Die erledigt alles – ich brauche keinen Finger zu rühren.«
»Ich dachte, Sie hätten sie vielleicht schon einmal im Dorf gesehen.«
»Für mich sehen diese Leute alle gleich aus«, sagte Hazel wegwerfend und leerte ihr Whiskyglas.
»Ich glaube, ich sollte allmählich ins Pfarrhaus zurückkehren«, sagte Tim nach kurzem Schweigen. »Kann ich sonst noch irgendetwas für Sie tun?« Er hätte ihr gern vorgeschlagen, gemeinsam zu beten, vielleicht sogar stumm, doch ihm fehlte der Mut.
»Den neugierigen Gaffern da draußen können Sie ruhig erzählen, dass die ganze Geschichte nichts mit uns zu tun hat«, antwortete Hazel. »Sie war einfach nur eine Drogenabhängige, die sich unseren Ausstellungssalon ausgesucht hat, um sich den goldenen Schuss zu setzen. Unser Pech, dass es hier passieren musste.«
»Schließen Sie die Räume normalerweise nicht ab?«, fragte Tim.
»Sicher. Und wehe, ich erwische den Kerl, der die Tür offen gelassen hat – er wird es bitterlich bereuen.«
»Sind Sie noch lang allein?«, erkundigte sich Tim. »Wann erwarten Sie Derek zurück? Und wann kommt Tony?«
»Ich habe Derek auf dem Handy erreicht. Er dürfte spätestens heute Abend wieder hier sein. Dass Tony hier nicht mehr ständig wohnt, wissen Sie sicher. Er kann sich eine eigene Wohnung in Oxford leisten.«
»Das kann ich mir denken«, versicherte Tim eilig.
»Aber er hat mir versichert, dass er so bald wie möglich kommt; wahrscheinlich so gegen vier. Sie brauchen sich also um mich keine Sorgen zu machen. Ich bin höchstens noch ein paar Stunden allein.«
»Gut«, sagte Tim, ohne auf ihr Selbstmitleid zu achten. »Hier arbeiten ja sicher auch noch andere Leute.«
»Die Angestellten in den Werkstätten hinter den Ausstellungsräumen. Sie sind zwar mit Reparaturen und Aufpolsterung beschäftigt, aber sie sind den ganzen Tag da, falls ich Gesellschaft brauche.«
»Gut, dann gehe ich jetzt.« Tim stand auf.
»Schön.«
»Ich finde allein hinaus«, fügte er hinzu.
Hazel schenkte sich bereits den nächsten Whisky ein.
»Warum musste die blöde Kuh ausgerechnet hier sterben?«, beklagte sie sich.
Tim wusste keine Antwort auf die Frage.
Vor dem Tor begann das Spießrutenlaufen durch die gaffende Menge.
»War es wirklich eine Puppe?«
»Wer war es, Herr Pfarrer?«
»Haben Sie sie gesehen?«
»Wie ist sie gestorben?«
Es waren die gleichen Stimmen und Gesichter, denen Tim jeden Sonntagmorgen in seiner Kirche begegnete, und er hatte das Gefühl, dass seine wohlüberlegten und mühevoll ausgearbeiteten Predigten nicht den mindesten Eindruck bei diesen Leuten hinterlassen hatten.
»Hat sie sich den goldenen Schuss gesetzt?« Die Frage wurde von einem jungen Mann mit klassischem Profil und straffem schwarzem Pferdeschwanz gestellt. Auch seine Kleidung war schwarz. Anscheinend trugen heutzutage alle jungen Leute diese Farbe.
»Es ist Donna Paige«, sagte Tim. Niemand hatte ihm befohlen, den Namen geheim zu halten. »Sie hatte eine Art Unfall. Sie ist tot.«
Seine Worte durchschnitten das allgemeine Gemurmel auf dem Rasenoval wie eine Klinge und sorgten für plötzliches Schweigen.
»Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war ihr Rock so kurz, dass er kaum über den Hintern reichte. Kein Wunder, dass es mit ihr ein böses Ende genommen hat«, sagte ein alter Mann mit säuerlichem Gesicht, der einen räudigen Hund an der Leine hinter sich herzerrte.
»So dürfen Sie nicht reden«, wandte jemand ein. »Das Mädchen ist tot. Wenigstens vor den Toten sollte man Respekt haben.«
»Wer will, kann um vier in die Kirche kommen und mit mir für unsere Schwester Donna beten«, verkündete Tim kurz entschlossen, ehe es zum Streit kommen konnte.
Als die Kirche erwähnt wurde, schlugen die Leute die Augen nieder und scharrten betreten auf der Stelle. Die Kirche war etwas für den Sonntagmorgen. Es roch nach Frömmelei, sie auch an einem Wochentag aufzusuchen.
»Schön, dann sehe ich euch alle nachher in der Kirche«, rief Tim
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