Flucht aus Oxford
nach dem Essen etwa Scharaden vorführen? Wie schrecklich!«
»Wir zwei dürften es locker schaffen, jeden diesbezüglichen Ansatz zu untergraben.« Kate grinste.
»Den ganzen Tag habe ich schon gerätselt, warum Emma Hope-Stanhope heute überhaupt im Pub gewesen ist«, sagte Roz.
»Warum sollte sie nicht?«, fragte Kate.
»Ihre Mutter hat recht«, stimmte Tim zu. »Ich war auch ziemlich überrascht. Zwischen dem einfachen Volk wirkte sie wie ein Fremdkörper.«
»Sie war mit Jenny Philbee zusammen«, sagte Kate.
»Die beiden sind nicht gerade das, was man enge Freundinnen nennt.« Tim schüttelte den Kopf. »Aber ein unerwarteter Todesfall wie dieser kann durchaus dazu führen, dass Menschen sich ungewöhnlich verhalten. Vielleicht wollte sie nur wissen, was passiert war.«
»Könnte natürlich sein.« Roz klang nicht sehr überzeugt. »Aber warum hat sie nicht einfach Hazel Fuller oder eine andere ihrer Busenfreundinnen angerufen?«
»Ich glaube kaum, dass sie Hazel Fuller anrufen würde. Die beiden können nicht miteinander.«
»Und ich dachte immer, dass die Leute in einem Dorf grundsätzlich ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln«, sagte Kate nachdenklich. »Zumindest sollte es doch wohl so sein, oder? Je isolierter man lebt, desto hilfsbereiter verhält man sich seinem Nachbarn gegenüber, weil man es sich nicht leisten kann, sich wegen Kleinigkeiten zu zerstreiten.«
»Ich fürchte, deine Vorstellungen sind ganz schön überholt«, sagte Roz.
»Und ich muss jetzt wirklich fort«, erklärte Tim. »Treffen wir uns morgen?«
»Am besten nachmittags.« Roz nickte. »Warum kommen Sie nicht zum Tee? Am Morgen ist Kate ohnehin unterwegs, um diesen Raben auszuhorchen.«
»Hatte ich diesem Vorschlag zugestimmt?«, fragte Kate kratzbürstig.
»Aber natürlich, Liebes.«
»Ich begleite Sie hinaus, Tim«, sagte Kate. »Kommen Sie morgen Nachmittag. Ich werde dafür sorgen, dass wir ausreichend Schokoladenplätzchen in unserer Keksdose haben.«
Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, stellte Roz fest: »Ich glaube, da hast du eine Eroberung gemacht.«
»Ein Dorfpfarrer! Genau das, was ich brauche!«
»Sei lieber dankbar. Er ist seit Wochen der erste Mann, der sich für dich interessiert.«
»Zählt er überhaupt als Mann?«
»Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du viel zu scharfzüngig geworden bist, Kate.«
»Jedenfalls war er offensichtlich scharf auf Donna.«
»Das war bestimmt nichts Ernstes. Nein, ich glaube, dass er dich sehr anziehend findet.«
»Ich bin sicher, du irrst dich gewaltig.«
»Egal. Lass uns lieber einen Blick auf unsere Garderobe werfen und nachschauen, ob wir etwas finden, womit wir die Hope-Stanhopes beeindrucken können.«
»Du solltest allerdings versuchen, dich wenigstens ansatzweise damenhaft zu geben«, grummelte Kate.
11
»Sehr hübsch.« Roz musterte Kate mit einem beifälligen Blick.
»Du siehst aber auch nicht übel aus«, gab Kate erleichtert zurück. Sie hatte befürchtet, ihre Mutter könne sich in eines ihrer fremdländischen Gewänder hüllen, doch Roz hatte sich ausgesprochen elegant gekleidet: ein schlichtes tiefrotes Kleid, dazu dunkelbraune Strümpfe und Schuhe.
»Du hast dich ziemlich gut gehalten für dein Alter. Ist das Kleid aus echter Seide?«, fragte Kate
»Ja, natürlich! Aus Seidenköper.«
»Die Schuhe sehen italienisch aus.«
»Weil sie es sind.«
»Laufen wir, oder nehmen wir den Wagen?«
»Ich denke, wir sind es den Hope-Stanhopes schuldig, standesgemäß vorzufahren, findest du nicht?«
»Und ob!«
Sie entschieden sich für Kates Auto, das zwar alt und hier und da ein wenig verbeult war, aber immer noch respektabler aussah als der noch ältere VW ihrer Mutter. Sie fuhren den Berg hinunter, vorbei an dem nun wieder verlassenen Rasenplatz vor Gatts Farm und bogen an der hohen Mauer ab, die rings um das Anwesen von Gatt’s House verlief.
»Wo gehen wir rein?«, fragte Kate und bremste ab. Sie betrachtete die imposante graue Front mit den symmetrisch angeordneten, hell erleuchteten Fenstern.
»Lass uns den Dienstboteneingang nehmen. Wahrscheinlich parken sie ihre Autos hinter dem Haus.« Kate fuhr auf einem Kiesweg um das Haus herum.
Roz hatte recht. Sie fuhren durch einen imposanten Torbogen und parkten neben einem Range Rover, einem Volvo-Kombi und einem Nissan Micra unter einer ehrwürdigen Kastanie. »Ich glaube kaum, dass die Bengel aus dem Dorf es wagen, Stöcke zu werfen, um hier Kastanien herunterzuholen!«, mutmaßte
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