Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
Andrew Baxter nur so verbittert werden lassen?" meinte Mary Jones, während sie ein kleines Häubchen säumte. "Es kann nicht nur das Bein sein. Hoffen wir, daß er sich bald erholt."
"Er hat sich nicht gefreut, seinen Sohn zu sehen", bemerkte Diana. "Sollte man nicht meinen, daß sich ein Vater auf seinen Sohn freut, zumal wenn er ihn noch nie zuvor gesehen hat?" Sie beugte sich tiefer über ihre Näharbeit. "Ich frage mich, ob Susan auf der Wellington gewesen ist? Ich hätte im Hafen sein müssen. Ich..."
Mary Jones legte das Häubchen zur Seite und nahm sie in die Arme. "Es könnte durchaus sein, daß Andrew Baxter weiß, wo sich deine Schwester aufhält, aber ich bin mir sicher, daß sie nicht mit ihm in Indien gewesen ist. Andrew ist als Offizier nach Indien gegangen. Seine Laufbahn wäre sofort beendet gewesen, wenn er seine Geliebte nach Indien mitgebracht hätte." Sie sah die junge Frau eindringlich an. "Laß ihm Zeit, sich auf Baxter Hall zurechtzufinden, bevor du ihm Fragen nach deiner Schwester stellst. Andrew Baxter ist ein zutiefst verwundeter Mann. Und glaube mir, ich beziehe meine Worte nicht auf sein verlorenes Bein, Diana."
Diana kehrte nach dem Tee nicht sofort in die Nähstube zurück. Sie wollte sich ein wenig die Füße vertreten. Seit dem frühen Nachmittag plagten sie heftige Kopfschmerzen. Mrs. Sibley hatte ihr Laudanum angeboten. Sie hatte abgelehnt, weil ihre Mutter wegen des Opiums in diesem Mittel nie etwas davon gehalten hatte.
Die junge Frau wandte sich dem hinteren Teil des Parks zu, wo die Grünflächen mit ihren Blumenrabatten in ein Birkenwäldchen übergingen. Es tat ihr wohl, unter den Birken spazierenzugehen. Von jeher liebte sie Birken. Ab und zu blieb sie stehen und berührte die weiße Rinde der Bäume. Sie fühlte sich warm unter ihren Fingern an.
Nach einer Weile wichen die Birken zurück und machten Platz für einige mächtige Eichen. Ein Weg führte durch die Bäume hindurch. Er mündete vor dem schmiedeeisernen Tor einer mit Efeu bewachsenen Mauer. Um sie herum war es so still, daß man ein Blatt hätte fallen hören können.
Diana erschrak, als sie bemerkte, daß sie vor dem Friedhof der Baxters stand. Seit dem Tod ihrer Familie machten ihr Friedhöfe Angst. Sie hatte das Gefühl zu ersticken, dennoch brachte sie es nicht fertig umzukehren und in den lichteren Teil des Parks zu flüchten. Etwas auf diesem Friedhof zog sie mit aller Macht an.
Die junge Frau zuckte heftig zusammen, als sie Schritte hörte. Rasch verbarg sie sich hinter einer der Eichen. Andrew Baxter erschien hinter dem Tor. Es quietschte, als er es aufschob. Für einen kurzen Augenblick blieb er stehen, bevor er den Friedhof verließ und auf seinen Stock gestützt den Weg entlangging.
Diana warf einen letzten Blick auf den Friedhof, dann folgte sie Andrew Baxter heimlich durch den Park. Sein Weg führte an einen Weiher vorbei zu einem Sandstein-Pavillon, dessen Schieferdach sich im Laufe der Zeit verfärbt hatte. Sie beobachtete, wie der junge Mann mit einigem Kraftaufwand die Läden vor den großen Fenstern zurückschob, bevor er einen Schlüssel ins Türschloß steckte, ihn herumdrehte und eintrat. Nur wenige Minuten später wurde eines der Fenster geöffnet.
Die Neugier der jungen Frau war erwacht. Zu gern hätte sie sich näher an den Pavillon herangeschlichen und einen Blick hineingeworfen, sie wagte es nicht. Die Gefahr dabei ertappt zu werden, war einfach zu groß. Diana nahm an, daß es sich bei dem Pavillon um das Atelier von Andrew Baxter handelte, von dem Mary Jones gesprochen hatte. Sie überlegte, ob es in ihm wohl ein Bildnis ihrer Schwester gab.
Es hatte keinen Sinn, länger hinter den Bäumen zu stehen und auf den Pavillon zu starren, zudem mußte sie an ihre Arbeit zurück. Mary Jones würde bereits auf sie warten.
Die junge Frau schlug den Weg zum Haus ein. Sie beschloß, am Abend einen Brief an ihre Tante und ihren Onkel zu schreiben. Es wurde Zeit, daß sie wieder einmal von ihr hörten. Außerdem mußte sie ihnen von der Heimkehr Andrew Baxters berichten. Eine tiefe Sehnsucht nach ihrer Familie ergriff sie. Was hätte sie darum gegeben, wenigstens ihre Tante bei sich zu haben.
* * *
Andrew Baxter verbrachte seit seiner Rückkehr den größten Teil des Tages im Pavillon. Meistens verließ er gleich nach dem Frühstück das Haus, kehrte kurz zum Lunch zurück und ließ sich dann bis zum Dinner nicht mehr sehen. Er war zutiefst davon überzeugt, alles in seinem Leben falsch
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