Flucht nach Avalon
sein. Wie ich schon sagte, es gibt viele Verbindungen, es gab Kontinente, und sie haben sich getroffen wie Strömungen, denn es existiert natürlich auch eine Verbindung zwischen Atlantis und Avalon. Darauf wirst du immer treffen.«
»Jetzt hast du mich neugierig gemacht.«
Er winkte ab. »Später, John, nicht alles auf einmal. Wir werden bestimmt noch darüber reden, wenn es denn soweit ist.«
»Und wie weit muß es noch kommen?«
Er deutete in westliche Richtung. »Du hast das Tor gesehen, dieser gewaltige rätselhafte Eingang in eine für Menschen doch sehr fremde Welt. Wir werden hingehen, und es ist dabei sehr wichtig, daß du den Gral mitnimmst. Nur durch ihn wirst du die Veränderung erleben, ansonsten ist es sinnlos. Er allein besitzt die Kraft, die Lücke aufzureißen, die wir beide brauchen.«
»Aber es geht auch von der anderen Seite, wie uns das Einhorn bewiesen hat.«
»Ja, nur sind diese Kräfte mächtiger.«
Ich sah auf die Stelle, wo das Tier gelegen hatte. »Weißt du, Kilian, ich frage mich immer wieder, warum es versucht hat, uns zu töten. Hätte ich es nicht gestoppt, wäre es auf dich oder mich losgegangen, und ich sehe dafür kein Motiv.«
»Frage in Avalon nach.«
»Das ist mir eigentlich zuwenig.«
Er legte mir eine Hand auf die Schulter. »Du bist viel zu voreilig, John Sinclair. Das solltest du nicht sein. Du mußt einfach abwarten. Rätsel, die vor oder in Jahrhunderten entstanden sind, können nicht in Minuten gelöst werden. Damit müssen wir uns abfinden. Wir brauchen einen Teil der Geduld, die die Zeit hat. Erst dann geht es uns besser.«
»Ja, da magst du recht haben.«
»Und jetzt tu uns beiden den Gefallen und hole deinen Gral. Danach sehen wir weiter.«
So geheimnisvoll der Kelch mit der Kugel auch sein mochte, ich war ehrlich mir selbst gegenüber, denn in diesem Fall bedeutete er allein von der Größe her für mich ein Hindernis. Es war vielleicht gut, wenn ich eine Tasche fand, in die ich den Dunklen Gral hineinlegen konnte. Dann war die Behinderung nicht zu groß.
Wie oft hatte ich schon in Gasthäusern übernachtet wie diesem hier. Sie waren irgendwo alle gleich, fast so wie die modernen Kettenhotels. Ich lief über enge Stiegen nach oben und hielt mich am Geländer fest, das sich unter meinem Druck leicht bog und ein häßliches Knarrgeräusch von sich gab. Mein Zimmer lag oben im Gang. Die Tür hatte ich verschlossen. In der Tasche suchte ich nach dem Schlüssel, fand ihn und schloß auf.
Der Raum war klein, die Decke niedrig. Ich fand alles so vor, wie ich es verlassen hatte. Den Dunklen Gral hatte ich nicht offen stehen lassen wollen und ihn deshalb in den schmalen Schrank gestellt. Ich zog die Tür auf, wollte in den Schrank hineingreifen, wo er auf einem Regal hätte stehen müssen.
Er stand nicht mehr da.
Ich sah ihn überhaupt nicht mehr. Der Dunkle Gral war und blieb verschwunden. Man hatte ihn gestohlen!
***
Ich saß auf dem Bett wie eine Figur. In den ersten Augenblicken war ich nicht einmal fähig, etwas zu denken, geschweige denn, mich zu bewegen. Das Fenster war geschlossen, die Tür hatte ich erst aufschließen müssen, dennoch war jemand gekommen und hatte mir den Gral genommen. Wer?
Von draußen hörte ich schwache Stimmen. Wahrscheinlich waren einige Dorfbewohner zusammengelaufen, um über das Gesehene zu diskutieren. Die Stimme des Professors hörte ich ebenso hervor wie die der Wirtin Alva, und meine Gedanken beschäftigten sich automatisch mit ihr.
Sie hätte Zugang zu meinem Zimmer gehabt und hätte den Gral auch stehlen können. Nur – was hätte das für einen Sinn ergeben?
Keinen, das war mir klar. Ich wollte nicht daran glauben, es ging mir einfach gegen den Strich. Zwar kannte ich die Frau nicht sehr gut, aber daß sie etwas mit dem Gefäß hätte anfangen können, erschien mir doch mehr als unwahrscheinlich.
Nach einer Weile stand ich auf und untersuchte das kleine Zimmer noch einmal.
Natürlich ohne Erfolg. Weder der Kelch noch die Kugel waren zu sehen.
Also mußte ich ohne ihn den Weg antreten, dann aber würde mir der Pfad nach Avalon verschlossen bleiben. Dann würden wir nie durch das Tor in die andere Welt schreiten können.
Ich war gespannt darauf, wie Kilian Versy reagieren würde und ob er trotz allem noch eine Chance sah, die geheimnisvolle Insel der Äpfel zu erreichen.
Mit einem letzten wütenden Blick auf das Zimmer verließ ich den Ort und ging nach unten. Diesmal langsamer und gedankenschwer. Als ich die
Weitere Kostenlose Bücher