Flucht nach Avalon
sein.
Es gab keinen, der uns darauf ansprach. Wenn wir den zumeist dunkel gekleideten Menschen begegneten und sie für einen Moment in unsere Gesichter schauten, dann drehten sie die Köpfe so schnell wie möglich wieder zur Seite. Keiner wollte sich offenbaren, niemand wollte mit uns einige Worte wechseln. Wir waren fremd, ausgestoßen innerhalb der schmalen Straßen oder Gassen.
Graue Fassaden, einige von ihnen durch Efeu oder andere Pflanzen bewachsen. Rauch quoll aus den Kaminen. Wie ein Teppich legte er sich schließlich über den Ort.
Wir gingen nach Westen, denn dort erhob sich der Hügel, und auf seiner Kuppe stand das Tor.
Aus der Ferne hatte das Tor wie der Turm der Dorfkirche ausgesehen.
Aber nur der Turm, ohne ein zweites oder drittes Gebäude darum, das ihm Schutz gab.
Die Häuser verschwanden. Vor uns breitete sich die glatte, baumlose, beinahe schon steppenartige Landschaft aus, die von einem dichten Grasteppich bewachsen war.
Diesmal sah er nicht satt und grün aus. Die winterlichen Brauntöne überwogen. An einigen Stellen hatte der Wind auch Laub zusammengeweht und es wie breite Inseln liegen lassen.
Mächtig war der Himmel über dem Tor. Ein Gebilde wie ein gewaltiges Gemälde. Durchzogen von düsteren Farben, von schweren Wolken, die einer seichten Bläue kaum Platz ließen. Eine schwermütige, bedrückende Landschaft, gefüllt mit düsteren Geheimnissen.
Wind wehte uns entgegen. Er hatte seine eigene Sprache. Er war nicht sehr kalt, jedenfalls kam es uns so vor. Er umsäuselte uns, als wollte er uns bestimmte Botschaften bringen.
Vor uns lag kein Haus mehr, keine Hütte, nur eben die Weite des Landes und auch kein Weg, der zum Hügel hinführte. Wir gingen über die weite Fläche mit dem dunkel gewordenen Wintergras, und wir stiegen dabei leicht bergan.
Ich schaute nach vorn.
Natürlich behielt ich das Tor im Blick. Für mich auch jetzt noch mehr ein Turm mit einigen zugemauerten Fenstern. Drei Zinnen waren deutlich zu erkennen. Aber auch die Öffnung am unteren Ende des Turms.
Das also war das richtige Tor.
Schon jetzt sah es mir ziemlich breit aus, als wäre es von einer Riesenfaust in das Mauerwerk geschlagen worden.
Noch etwas sah ich.
Ein graues Band, das sich von einer bestimmten Stelle aus bis zum Tor hinzog und dort endete. Für mich war es ein Weg, und ich sprach meinen Begleiter darauf an.
»Nicht direkt, John. Du siehst es zwar als Weg. Tatsächlich aber ist es eine Treppe mit sehr breiten Stufen, die auch entsprechend flach sind. Sie führen dich ans Ziel.«
Damit gab ich mich zufrieden.
Es dauerte nur einmal drei Minuten, bis wir die erste Stufe erreicht hatten. Hier hielten wir an.
Kilian atmete die klare Luft tief ein. Der Torfgeruch hatte sich hier mehr verflüchtigt. Er war nur mehr schwach zu riechen.
Ich schaute zurück.
Das Dorf duckte sich in die Ebene hinein. Nur die Kathedrale von Glastonbury überragte die kleinen Häuser. Sie sah aus wie ein Schutzengel aus Stein.
Ein wunderbares Bild, wild und gleichzeitig romantisch, aber auch rätselhaft.
Bäume streckten ihre Zweige gegen das Himmelsgrau. Der Wind bewegte sie und ließ sie zittern. Vögel hockten wie schwarze Klumpen im kahlen Geäst.
»Gehen wir weiter, John?«
»Sicher.«
Die Stufen waren sehr breit. Ich bin nicht gerade klein. Hier brauchte ich fast drei Schritte, um eine Stufe hinter mich zu bringen. Danach begann jeweils ein schmaler grüner Rasenstreifen, dann konnte ich die folgende steingraue Stufe betreten.
»Wer hat den Weg angelegt?«
Versy hob die Schultern. »Ich kann es dir nicht sagen, John. Ich weiß es leider nicht. Vorfahren, Ahnherren, irgend jemand trägt dafür die Verantwortung.«
»Aber er ist sehr alt, nehme ich an.«
»Das muß er. Schau dir die Steine an. Sie zeigen Spuren von Verwitterung.«
Es ging nicht nur bergauf. Manchmal blieben wir auch auf einer Höhe, dann liefen die Stufen normal weiter.
Das Tor rückte näher und näher.
Wir erkannten dessen Größe. Es war wuchtig, ich verglich es mit einem Monument. Wie verloren, aber gleichzeitig bedeutungsschwer stand es in dieser leeren Landschaft. Als hätten es frühgeschichtliche Eroberer einfach vergessen, aufzunehmen.
Unsere Schuhe schleiften über das rauhe Gestein. Der Wind frischte hier ein wenig auf. Er wühlte in meinen Haaren, er strich über die Kleidung hinweg, aber er veränderte nichts.
Das Bild blieb.
Selbst für mich, der ich viel erlebt hatte, war es kaum vorstellbar, daß hinter diesem
Weitere Kostenlose Bücher