Flucht nach Avalon
Haustür öffnete, standen die Wirtin und der Professor beisammen. Beide drehten mir ihre Köpfe zu.
Kilian sah sofort, daß etwas nicht stimmte. Er mußte es einfach an meinem Gesicht ablesen. »Wo ist der Gral, John?«
»Nicht da.«
Er schüttelte den Kopf.
»Wie bitte? Was sagst du? Er ist nicht mehr da. Wo denn, zum Henker?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hast du überall nachgeschaut…?«
Ich unterbrach ihn. »Er wurde mir gestohlen, Kilian. Jemand muß in mein Zimmer eingedrungen sein und ihn weggenommen haben. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
Er strich über sein Gesicht. »Das ist ja schrecklich, John. Dann sind wir von…«
»Ich war es nicht!« meldete sich Alva und winkte heftig mit beiden Händen ab.
»Ich glaube Ihnen.«
Sie schien erleichtert zu sein. Dann hörte sie Versys Frage. »Wer könnte es denn dann gewesen sein?«
»Frag mich nicht. Ich kenne mich hier nicht aus. Gibt es Verbündete in Glastonbury?«
»Du meinst wegen Avalon?«
»Sicher.«
»Nein, John, das glaube ich nicht. Hier ist alles in der Reihe. Jeder steht an seinem Platz. Alle wissen Bescheid, aber die Menschen behalten es für sich. Sie sprechen mimt keinem Fremden darüber. Du kannst sie fragen, und sie werden dich nur anschauen, aber keine Antworten geben. Es ist ein geheimnisvoller Ort, und der soll es auch immer bleiben.«
»Alles klar, Kilian, kein Widerspruch. Und trotzdem muß es jemand gegeben haben, der in mein Zimmer eindrang und meinen Gral stahl.«
Der Professor nickte. »Ja, da hast du recht.«
»Aber wer war es denn?«
»Ich weiß es nicht.«
Auch Alva schüttelte den Kopf. Damit wollte ich mich nicht zufriedengeben und sprach sie scharf an. Über uns spielte der Wind mit dem letzten vertrockneten Laub, das noch an den Zweigen der Bäume hing. Er ließ die braunen Blätter rascheln.
»Wer hat denn eine besondere Beziehung zu Avalon oder zu dieser Vergangenheit?«
»Wir alle«, flüsterte Alva.
»Moment mal. Soll das heißen, daß jeder, der es will, in das Land hineingehen kann?«
»Niemand schafft es.«
»Das müssen Sie mir näher erklären.«
»Es ist da, obwohl wir es nicht sehen. Wir wissen, wo wir wohnen. Vielleicht sind wir selbst ein Mythos oder eine Legende, wer kann das schon sagen? Die Insel der Äpfel existiert, aber sie befindet sich nicht im sichtbaren Bereich, sondern in unseren Köpfen. Davon müssen wir hier ausgehen, das wissen auch alle, und wir können damit leben, ob Sie es glauben oder nicht. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.« Die Frau nickte uns zu, drehte sich um und verschwand im Haus.
»Mist«, ärgerte ich mich.
»Was willst du, John? Du kannst dieses Gitter nicht durchbrechen. Es ist einfach unmöglich.«
»Ja, das scheint mir auch so zu sein. Mich würde nur interessieren, was sie überhaupt wissen.«
»Alles und nichts, John. Sie können jeder auf das Tor zugehen, ohne daß etwas geschieht. Sie können hindurchschreiten, und es wird wieder nichts geschehen. Aber sie wissen sehr genau, daß hier in Glastonbury die Wiege der britischen Mythologie gestanden hat. Das ist ihnen klar, damit haben sie sich abgefunden. Sie wissen vieles, ohne überhaupt etwas zu wissen. Es ist, wie man sagt, in ihren Köpfen. Und das ist tatsächlich keine Übertreibung, John.«
»Allmählich glaube ich es auch.«
»Du mußt es hinnehmen. Dies ist das englische Jerusalem, die mythische Stätte.«
»Klar, Kilian, und wir werden den Weg nach Avalon auch jetzt gehen, nur eben ohne den Dunklen Gral.«
»So ist es.«
»Und damit bleibt das Tor geschlossen.«
Er hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Den Rucksack trug er bereits. Über seinen Inhalt wußte ich nicht Bescheid. Ich dachte daran, daß er auch den Gral beherbergen könnte, aber das war ein unsinniger Gedanke.
»Gehen wir?«
»Ja.«
Wir schauten uns nicht mehr um. Das alte Gasthaus verschwand wie ein Spuk im Dunst.
Einen Teil des Ortes mußten wir durchqueren. Ich nahm den Torfrauch wahr, und er erinnerte mich wieder an die Realität, in der wir uns bewegten. Über den Dächern lag ein klarer, leicht baulich schimmernder Rauch, von der Farbe etwas heller als der düstere Spätherbsthimmel. Es war Tag, aber ich hatte den Eindruck, durch die Dämmerung des hereinbrechenden Abends zu schreiten.
Im Sommer sah es hier sicherlich wunderschön aus. Oder auch im Frühling zur Zeit der Apfelblüte. Nun jedoch duckte sich der Ort unter der Last der Jahreszeit.
Das Einhorn mußte auch von anderen Menschen gesehen worden
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