Flucht nach Avalon
die sich nicht aus Buchstaben zusammensetzte, sondern mehr Symbolen glich. Plötzlich verflog meine Gelassenheit. Starr und angespannt blieb ich sitzen.
Ich hatte etwas gefühlt und gespürt. Aber das konnte nicht sein – oder?
Vorsichtig bewegte ich meine Hände und ließ dabei die Fingerkuppen auf den Symbolen liegen. Ein neuer Versuch. Tatsächlich, es stimmte.
Die Symbole an der Außenseite des Kelchs ließen sich bewegen. Und das war für mich nicht nur neu, in diesem Moment des Erkennens sogar unfaßbar.
Gleichzeitig schoß mir durch den Kopf, daß der Dunkle Gral mehr Geheimnisse verbarg, als ich bisher nur hatte annehmen können. Aber würde das Bewegen der Symbole auch etwas bewirken?
Ich war so aufgeregt wie lange nicht mehr und kannte nur ein Ziel. Alles herauszufinden, denn das war mir in meiner Welt leider oder Gott sei Dank nicht möglich.
Hatte Nadine etwas bemerkt?
Sie saß an meiner linken Seite, hatte die Beine ausgestreckt und die Arme zurückgedrückt, so daß sie sich hinter ihrem Rücken mit beiden Händen abstützen konnte. Sie sah mit dem nach hinten gelegten Kopf aus, als wollte sie über den See und gleichzeitig auch gegen den blauen Himmel schauen.
Dieses alte, geheimnisvolle Land hielt sie voll und ganz in seinem Besitz.
Mich hatte sie für eine Weile vergessen, was ich auch als gut ansah.
Ich war wahrhaftig aufgeregt. Die Spannung in mir verdichtete sich. Mein Herz schlug schneller. Ich hatte noch nichts getan, aber ich wußte, daß mir etwas Neues widerfahren würde, was auch für die Zukunft entscheidend war.
Es fiel mir mehr als schwer, ruhig sitzen zu bleiben und nur die Symbole zu bewegen.
Ich drehte und drückte die ersten nach rechts.
Nichts geschah.
Ich faßte unterschiedliche an und schob sie in entgegengesetzte Richtungen. Da geschah es.
Auf einmal veränderte sich die Welt vor meinen Augen. Sie wirkte plötzlich wie ein Mosaik, das sich aus verschiedenen Glasplatten zusammensetzte und die einzelnen Perspektiven vollkommen verzerrte.
Zwar schaute ich nach vorn, konnte den See aber nicht mehr sehen, denn über ihn hatte sich eine düstere Fläche gelegt. Es war ein wilder, mächtig aussehender Wald, sturmgepeitscht, durch den mehrere Männer auf Pferden hockend galoppierten.
Sie trugen Kettenhemden und Helme, schienen es eilig zu haben, denn sie spornten ihre Pferde hart an. Sie ritten, aber sie kamen nicht von der Stelle. Für mich sah es aus, als wäre ein Film angehalten worden, wobei sich die Akteure noch bewegten, aber nicht vorankamen.
Hing es mit den Zeichen zusammen? Ich wollte sehen, was geschah und bewegte sie weiter.
Eine Idee reichte aus.
Eine Burg erschien. Ein dunkles, mächtiges Gemäuer. Davor sah ich einen uralten Mann, der einen langen Umhang trug und die Kapuze dabei über seinen Kopf gestreift hatte, so daß nur sein Gesicht zu sehen war und der mächtige blondgraue Bart. In den Händen hielt der Mann eine Schriftrolle, auf die er aber nicht schaute, sondern über sie hinweg und nach vorn, so daß es aussah, als würde er mir direkt ins Gesicht starren.
Hinter ihm jagte plötzlich ein Wesen in die Höhe, das ich bereits aus Glastonbury kannte.
Es war das Einhorn.
Nur lebte es in dieser Szene noch. Möglicherweise war es auch ein anderes, obwohl der Körper dieselbe Farbe aufwies wie das mir bekannte Einhorn.
Es jagte in die Luft und verschwand dabei in einer dichten Nebelwolke.
Ich wollte jetzt mehr wissen und andere Szenen heranholen, deshalb bewegte ich meine Finger weiter, um die Zeichen zu verschieben. Da erreichte mich der Ruf.
Nein, mehr ein Schrei.
Nadine hatte ihn ausgestoßen. Ich spürte ihre Hände; sie schüttelte mich durch. »Nicht John! Zurück, alles zurück…«
Ich gehorchte automatisch.
Das Bild verschwand.
Ich sah den See, das glatte Wasser, die Dunstschwaden darüber und kam mir vor, wie aus einem tiefen Traum erwacht.
Nadine hielt mich fest.
Ihre Hände wanderten. Sie legte sich um meine Wangen, drehte den Kopf, so daß sie mich aus kürzester Entfernung anschauen konnte.
Ihr Gesicht zeigte keine direkte Angst oder Panik, aber die Furcht war nicht zu übersehen.
»Was hast du getan, John?«
Ich wollte lächeln, es wurde nur ein Zucken. »Nun ja, eigentlich nicht viel. Ich habe die Symbole gespürt und festgestellt, daß sie sich bewegen ließen.«
»Das war dir neu, wie?«
»Ja, es war mir neu.«
Sie löste die Hände von meinem Gesicht und lehnte sich zurück. »Dann hast du jetzt das Geheimnis des
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