Flucht nach Colorado
sich davor, zu blinzeln. Sie könnte es nicht ertragen, dieses Grauen noch einmal zu durchleben.
„Emily", sagte Jordan sanft. „Woran denkst du gerade?"
„Ich weiß nicht." Sie schob die Erinnerungen zur Seite.
„Vielleicht wurdest du immer an deinen Vater erinnert, wenn du verletzte Menschen gesehen hast", schlug er vor.
„Das ist möglich." Aber es war nicht wahrscheinlich. „Ich schätze aber, dass ich vernünftig genug bin, den Unterschied zwischen einem Patienten in der Notaufnahme und einem Mann, der vor dreißig Jahren gestorben ist, zu erkennen."
Sie blickte ihn über die Kerze hinweg an. Alle Wut war verflogen. Sie wollte ihn nicht verlieren.
Mit einem Seufzen fuhr sie fort; „Deine Situation erinnert mich ebenfalls an meinen Vater.
An die Gefahr. Wie es ist, von Feinden verfolgt zu werden. Aber du musst mir glauben, dass ich keine Schwierigkeiten damit habe, zwischen dir und meinem Vater zu unterscheiden."
„Das ist gut", sagte er. „Ich wollte niemals eine Vaterfigur sein, außer für meine eigenen Kinder, wenn ich sie mal habe."
„Und wann denkst du, wird es so weit sein?"
„Ich hoffe bald."
Sie hatte gewusst, dass er bereit war, Kinder zu haben. Jordan war genau wie sie über dreißig. Die altbekannte biologische Uhr tickte. „Ich auch."
„Wie fühlst du dich jetzt, Emily?"
„Ein bisschen besser."
„Verrat mir eines, Em. Du hast gesagt, dass du nie mit jemandem über deinen Vater gesprochen hast."
„Das stimmt."
„Aber warum nicht? Es ist unvernünftig, dass du vermeidest, über ihn zu sprechen. Es gibt doch nichts, wofür du dich schämen müsstest."
Unvernünftig. „Hier geht es um Gefühle, Jordan. In Twin Bluffs, wo ich aufgewachsen bin, hatte jeder meinen Vater gekannt. Er starb als Held. Ich musste nie etwas erklären."
„Und später?"
„Die Geschichte meiner Familie ist kein Thema, das man mal eben so in ein zwangloses Gespräch einfließen lässt."
Und Emily war darin geübt, sich aus vertraulichen Gesprächen herauszuhalten. Jederzeit hörte sie sich die Probleme ihrer Freundinnen an, erzählte selbst aber nichts. In den letzten Tagen hatte sie zu Jordan mehr Vertrauen gefasst als zu irgendjemandem sonst in ihrem Leben. Es war paradox. Sie hatte erst als Geisel genommen werden müssen, um zuzulassen, sich einem Mann wirklich zu nähern.
„Hast du mit Spence über deinen Vater gesprochen?"
„Nein, das wäre nicht angemessen. Spence und ich sind Kollegen und Freunde. Er soll auf keinen Fall glauben, dass ich irgendeine komische Panikattacke bekommen könnte, wenn wir zusammen arbeiten."
Jordan rollte sich auf den Rücken und starrte zur Decke. Er schien am liebsten lang gestreckt zu liegen, wenn er nachdenken wollte. „Als der Sheriff mir zum ersten Mal die Handschellen anlegte, wäre ich am liebsten gestorben. Noch nie habe ich mich so gedemütigt gefühlt. An dem Tag, an dem ich dann abgehauen bin, waren die Handschellen schon zur Gewohnheit geworden, wie ein Schlips. Zwar fand ich es schrecklich, im Gefängnis zu sitzen, aber es tat nicht mehr weh. Und ich hatte meine Fesseln akzeptiert. Ich glaube, Emily, bei dir ist es ähnlich."
„Du meinst, wenn ich über meine Vergangenheit spreche und den Tod meines Vaters hinnehme, dann tut es nicht mehr so weh."
Wie vorauszusehen, war Jordans Lösung einfach und rational. Wahrscheinlich zu einfach, dachte sie, aber zumindest konnte sie es versuchen. Womöglich würden sich dann auch andere Dinge lösen.
„Versuch es", murmelte Jordan. „In einem Satz.".
„Mein Vater war Arzt in Vietnam, wurde gefangen genommen und starb", sagte sie langsam.
Der Himmel hatte sich nicht aufgetan, um Blitz und Donner auf sie zu schleudern. Was sie gesagt hatte, klang nicht einmal wie ein Geheimnis.
„Es kommt alles in Ordnung, Emily." Er stieß sich vom Boden ab und stand auf. „Es ist Zeit. Ich muss los."
Als sie sich vor ihn stellte, begriff sie endlich, was sie wirklich wollte, die Wahrheit traf sie wie ein Blitz. Mit Jordan über ihren Vater zu sprechen war nur ein Teil ihres Plans gewesen.
Der andere war, dass sie mit ihm zusammen sein, die merkwürdige Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, verstehen wollte. „Bleib heute Nacht bei mir."
„Nichts würde ich lieber tun." Er streichelte zart ihre Wange. Sein Blick brachte sie zum Schmelzen. „Du machst es einem verdammt schwer, ein Gentleman zu sein."
„Wie meinst du das?"
Mit den Fingern fuhr er ihr zart übers Kinn. „Ich werde dich nicht
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