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Flucht über den Himalaya

Flucht über den Himalaya

Titel: Flucht über den Himalaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Blumencron
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Suja in die Höhle zurück, verschwitzt und außer Atem. Nima reicht ihm eine Tasse mit dampfendem Tee. Schwer hängt der Rauch des kleinen Feuers in ihrem mannshohen Unterschlupf. Für die Kinder hat Nima ein gemütliches Nest aus den Rucksäcken gebaut. Mit großen, ängstlichen Augen schaut Dhondup zu Suja, der sich kopfschüttelnd auf eine Decke hockt: »Die sind weg. Wie vom Erdboden verschluckt.«
    Die Vorstellung vom Erdboden, der Menschen verschluckt, findet Little Pema komisch und erntet dafür von Chime einen strafenden Blick. »Sei nicht traurig«, tröstet sie den Kleinen, »vielleicht kommt er ja irgendwann nach. Und bis dahin sind wir eben Geschwister.«
    »Genau«, sagt einer der jungen Männer, und sein goldener Zahn leuchtet hell im Morgenlicht, »jetzt hast du ganz viele große Brüder: Bruder Nima, Bruder Suja, Bruder Currasco, Bruder Lobsang, Bruder Tempa, Bruder Wangdu, ich bin Bruder Goldzahn, und der im weißen Mantel ist dein Bruder Yeti!«
    Dhondup lächelt etwas und beginnt endlich an seinem kleinen Tsampabällchen zu lutschen, das Chime ihm aus Gerstenmehl, Butter und Tee gerollt hat.
    »Du solltest auch was essen«, sagt Nima zu Suja und reicht ihm eine getrocknete Yakfleisch-Keule. Dankend lehnt Suja ab: »Wir müssen die Decken zusammennähen, bevor das Feuer erloschen ist.«
    »Darum kümmern sich die anderen.«
    Nima holt aus einem abgegriffenen Lederbeutel mehrere dicke Nadeln und ein Knäuel Wolle. Er fordert die Flüchtlinge auf, ihre Decken zu großen Schlafsäcken zusammenzunähen. Je drei Mann sollten in einen Sack passen: Currasco, Lobsang und Tempa. Wangdu, Yeti und Goldzahn. Suja wird die beiden Schwestern unter seine Decken nehmen, er selbst wird sich um Little Pema und den Kleinen kümmern. Sie sollen die Dinger fest zusammenzurren, damit die Nähte nicht reißen, wenn sie im Schnee oben sind.
    »Seht mal, wie geschickt unser ›Mädchen‹ mit Zwirn und Nadel ist!« spottet Currasco. Lobsang spürt, wie ihm die Schamröte bis unter die Haarwurzeln steigt.
    »Wahrscheinlich war er in seinem vorigen Leben eine Amala mit richtig dicken Brüsten!« setzt Tempa noch eins drauf.
    Nima schmeißt mit einer Wasserflasche nach ihnen. »Mund halten und arbeiten.«
    Daß ich ausgerechnet mit diesen beiden Typen mein Nachtlager teilen muß! Goldzahn, Yeti oder Wangdu wären Lobsang lieber gewesen. Wangdu soll in Lhasa sogar eine höhere Schule besucht haben. Für die anderen ist er jedenfalls ›der Student‹. Seine Mütze ist viel zu weit geschnitten für die hohe, schmale Denkerstirn. Dafür ist sie bestickt mit dem goldenen Schicksalsrad und zwei Rehen, die der Stimme Buddhas lauschen.
    Die Kinder sind endlich eingeschlafen. Suja schlüpft tief in seine Jacke hinein und kauert sich zu ihnen. Er wird versuchen, ein wenig zu ruhen. Da spürt er, daß eines der Kinder heimlich weint. Das kann nur Chime sein, die ihr Gesicht zur Höhlenwand gedreht hat. Jetzt, wo die kleine Schwester eingeschlafen ist, läßt sie ihre Tränen zu. Suja streckt seinen Arm nach der Kleinen aus, streichelt ihren Rücken. »Tapferes Mädchen«, flüstert er, »es wird alles gut, das verspreche ich dir.«
    Sofort hält Chime still, als fühlte sie sich ertappt.

Nepal, 8. April 2000
    Sechs getrocknete Yakkeulen, fünf Kilo Käsegranulat und sieben Kilo Tsampa haben wir bei unserem tibetischen Wirt gekauft. Längst ahnt er, daß diese Mengen an Proviant nicht nur für uns bestimmt sein können. Aber er freut sich über das gute Geschäft und stellt keine weiteren Fragen. Vier Drogpa haben die Sachen am Nachmittag aus unserer Herberge abgeholt und sie in großen Yaklederbeuteln verstaut. Mit einem flauen Gefühl sah ich auch unser gesamtes Kamera-Equipment darin verschwinden.
    »Da ist es sicherer aufgehoben als bei uns«, beruhigt mich Pema, »außerdem werden wir sie bald einholen. Mit ihren Yaks brauchen die Drogpa viel länger als wir.«
    Um zwei Uhr nachts sind wir dann aufgebrochen: Pema, Sotsi, ich und der neu eingekleidete Kelsang. Leisen Schrittes verließen wir das schlafende Dorf. Ich wandere gerne nachts. Da darf ich ganz mit mir und meinen Gedanken sein. Ich muß nicht beim Anblick eines schönen Panoramas in Verzückung geraten oder mit zusammengekniffenen Augen jedes Murmeltier erhaschen, das die Bergkameraden schon längst zwischen den Steinen erspäht haben. Meine Füße laufen wie von selbst. Ich bin elektrisiert von der Vorstellung, daß Nima und seine Gruppe auf der anderen Seite des

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