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Flucht über den Himalaya

Flucht über den Himalaya

Titel: Flucht über den Himalaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Blumencron
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bringt dem Wanderer Glück. Ihre Kleidung ist arm und zerschlissen, ihre Umgangsformen sind direkt. Ein Drogpa macht nicht lange herum, wenn ihm eine Frau gefällt.
    Einmal bin ich drei Drogpa-Brüdern begegnet. Sie wollten mich heiraten, alle drei, und es wäre absolut kein Problem für sie gewesen. Denn wenn eine Drogpa-Frau einen Mann heiratet, bekommt sie auch dessen Brüder mit in die Ehe. So kann einer der Männer immer zu Hause bleiben, während seine Brüder auf Wanderschaft gehen. Eifersucht kennen die Drogpa nicht. Das harte Leben fordert es, sich auch die Frau im Bett zu teilen. Die Brüder waren nett, und der Jüngste sah richtig gut aus. Daß ich nicht ihre Frau werden wollte, konnten sie gar nicht verstehen. Erst als ich ihnen erklärte, daß ich schon verheiratet sei, ließen sie mich mit ihren Heiratsplänen in Ruhe und wollten nur noch ›pucking‹. Da die Leute in dieser Gegend ein ›f‹ gerne als ›p‹ sprechen, konnte ich schnell erahnen, was die Brüder mir (auf Englisch) sagen wollten. Ich gab ihnen einen Korb, da zogen sie ihre großen Messer. Als ich mit meinem kleinen Schweizermesser dagegenhielt, löste sich die Situation in heiterem Gelächter auf. Schließlich waren die vielen Schraub-, Stech- und Sägefunktionen meines Messers auch viel interessanter als ich.
    »Ho – Ho – Ho – Ho – Ho – Ho – Ho …« Es sind sieben Drogpa, die direkt an unserem niedrigen Mäuerchen vorbei den Berg nach Nepal hinunterlaufen. Sie schleppen riesige blau-weiß-rot gestreifte Pakete, die sie mit Kopf und Schultern ausbalancieren. Ihr Blick ist gesenkt. Sie können uns nicht sehen.
    Als sich ihr Geschnaufe nur noch erahnen läßt, singt Pema sein Lied zu Ende …
    Unser Land ist rein.
    Alle fühlenden Wesen darauf
    sind Teil eines Ganzen
    und doch so einzigartig.
    Laßt mich für die ganze Welt singen!
    Laßt mich heute nacht vom Frieden träumen
    und den morgigen Tag mit Freude beginnen!

Das Versteck bei den Bauern
    Als es draußen zu dunkeln beginnt, rüttelt Nima die Gruppe wach. Er hat nicht nur ihren Schlaf, sondern auch die Glut des Lagerfeuers gehütet, die er mit einem alten Blasebalg erneut zum Lodern gebracht hat. Er möchte, daß die Flüchtlinge heißes Wasser trinken, bevor sie aufbrechen, denn der Rauch in der Höhle hat ihre Atemwege gereizt. Bevor sie ihren Unterschlupf verlassen, leuchtet Nima jeden Winkel aus – sie können es sich nicht leisten, etwas liegenzulassen. Jedes einzelne Stück, das sie mitschleppen, ist notwendig, um in den Bergen zu überleben.
    Das Tal, durch das sie wandern, wirkt nachts noch bedrohlicher. Tosend betäubt das Wasser des Flusses ihre schläfrigen Sinne. Es fällt kein Wort in diese Nacht, nur eine kleine Sternschnuppe, die Dhondup an dem schmalen Ausschnitt des Himmels entdeckt. Bestimmt hat Amala sie auch gesehen. Sie steht in der Tür ihres Hauses, schaut in die Nacht hinaus und summt das Lied, das jedes Kind im Schneeland kennt. Es ist ein Schlager – beliebt bei den Tibetern wie kaum ein anderer zu dieser Zeit:
    »Wenn ich in den Himmel schaue, sehe ich einen leuchtenden Stern …«
    Dhondup stockt. Er spürt, daß Goldzahn an seiner Seite die Ohren spitzt.
    »Es ist nicht wichtig, die Töne immer zu treffen«, hat Ama einmal gesagt, »wichtig ist es, seine Gefühle in ein Lied zu legen. Mit einem Lied kannst du anderen Menschen deine Liebe, deine Trauer und Freude schenken.«
    Also nimmt Dhondup seinen ganzen Mut zusammen und singt mit der Mutter, die weit weg von hier in der Tür ihres Hauses steht, das Lied, das ihm das liebste ist.
    Leuchtender Stern
    Wenn ich in den Himmel schaue,
    sehe ich einen leuchtenden Stern.
    Wenn ich diesen Stern sehe,
    schmerzt mein Herz und Tränen
    rollen über mein Gesicht.
    Aaaaaaamala!
    Egal, wo ich auch bin und wohin ich gehe,
    ich werde mich immer an deine Worte erinnern:
    Gute Taten zu vollbringen und
    einen guten Weg zu gehen.
    Aaaaaaamala!
    Dolker weint. Der eisige Wind zerschneidet ihr kleines Gesichtchen. Suja holt seine hellbraune Sturmmütze aus dem Rucksack und zieht sie der Kleinen behutsam über den Kopf: »Das ist eine Glückskappe. Wer sie trägt, hat nur noch schöne Gedanken. Von Zitronenbäumen, bunten Saris und dem blauen Meer. Hörst du es schon rauschen?«
    Dolker nickt sehr ernst: »Ja, wir müssen uns beeilen.«
    Wir müssen uns beeilen, denkt auch Nima, an dessen Hand sich Little Pema tapfer gegen den Wind stemmt. Die Biegungen und Windungen dieses verfluchten Tals sind

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