Flüstern in der Nacht
Nicht das Bewußtsein einer Kulturgrenze schien entscheidend – das Unterbewußtsein arbeitete mit jenem Wissen, erzeugte ein aufputschendes, einem manchmal Angst einflößendes Gefühl. Irgendwie vereinten sich all diese Dinge, lösten so manche Hemmung und regten die Drüsen an. Diese schuldfreie Einstellung zum Sex war natürlich gesund; aber in der ganz besonderen Atmosphäre von Los Angeles, in der es nur wenig Schwierigkeiten gab, sich selbst den bizarrsten fleischlichen Genüssen hinzugeben, erschien es möglich, daß manche Männer (und Frauen) auf Sex ebenso süchtig wurden wie auf Heroin. Tony hatte das oft erlebt. Es gab Leute, die alles wegwarfen – Geld, Selbstachtung, Ansehen –, um in einer Art endloser Party ewiger Umarmungen und kurzer feuchter Höhepunkte zu leben. Hatte man seine persönliche Erniedrigung und seinen Ruin nicht durch Sex oder Rauschgift erreicht, so bot L.A. noch ein Sammelsurium gewalttätiger radikaler Bewegungen, denen man sich anschließen konnte. Außerdem gab es natürlich Las Vegas, nur eine Stunde entfernt und mit regelmäßigen Billigflügen erreichbar – für notorische Spieler, die sich die Reputation erworben hatten, um hohe Einsätze zu spielen, kostenlos. All jene Werkzeuge zur Selbstvernichtung ermöglichte erst dieser wahrhaft unbegreifliche Wohlstand. Aufgrund seines Reichtums und seiner endlosen Freiheitsfeiern bot Los Angeles den goldenen Apfel, aber auch die vergiftete Birne: Positiven und negativen Durchgang. Manche Leute machten in Orten wie Las Palmeras Station auf dem Weg nach oben, sie schnappten sich den Apfel und zogen weiter nach Bel Air, Beverly Hills, Malibu oder sonst wohin auf der Westseite, und lebten dort glücklich weiter. Manche Leute aßen die vergiftete Frucht und legten auf dem Weg nach unten einen Stopp im Las Palmeras ein, nicht sicher, wie oder weshalb sie dort gelandet waren. Die Verwalterin des Apartmentbaus schien auch nicht zu begreifen, wie jene Durchgangsmuster sie in ihre augenblicklichen Lebensumstände gepreßt hatten. Sie hieß Lana Haverby, eine gebräunte Blondine Anfang vierzig in Shorts und BH, und schien von ihrer sexuellen Attraktivität viel zu halten, denn sie wirkte die ganze Zeit über, ob sie nun ging, stand oder saß, als würde sie für einen Fotografen posieren. Ihre Beine schienen in Ordnung, aber der Rest keineswegs. Sie war um die Mitte herum dicker, als ihr bewußt zu sein schien; für ihr spärliches Kostüm hatte sie auch viel zu breite Hüften und eine zu kräftige Gesäßpartie. Ihre Brüste waren so gewaltig, daß sie nicht mehr attraktiv, sondern nur noch absurd wirkten. War sie nicht gerade damit beschäftigt, ihre Posen zu wechseln oder abzuschätzen, wie sie auf Frank und Tony wirkte, so schien sie verwirrt und abgelenkt. Ihre Augen machten den Eindruck, als könnten sie ihren Gesprächspartner nicht immer taxieren; auch neigte sie dazu, Sätze unbeendet auslaufen zu lassen. Manchmal schaute sie sich wirr im kleinen dunklen Wohnzimmer um und musterte das fadenscheinige Mobiliar, als wüßte sie absolut nicht, warum sie sich eigentlich an diesem Ort befand oder wie lange schon. Sie legte den Kopf zur Seite, als würde sie wispernde Stimmen vernehmen, außerhalb der Hörweite, die versuchten, ihr das alles zu erklären.
Lana Haverby saß auf einem Sessel, und die beiden Polizisten auf dem Sofa; die Frau betrachtete die Fotos von Bobby Valdez.
»Jaaa«, sagte sie. »Er war süß.« »Wohnt er hier?« fragte Frank.
»Er hat hier gewohnt . . . jaaa. Apartment neun. Stimmt das? Aber jetzt nicht mehr.« »Er ist ausgezogen?«
»Jaaa.«
»Wann war das?«
»Irgendwann im Sommer. Ich glaube, es war ...« »Wann?« fragte Tony nach. »Erster August«, sagte sie.
Sie schlug die nackten Beine übereinander und schob die Schultern leicht zurück, um ihre Brüste so weit wie möglich anzuheben.
»Wie lange hat er hier gewohnt?« wollte Frank wissen. »Ich denke, drei Monate«, erwiderte sie. »Hat er allein hier gelebt?« »Sie meinen, ob er eine Freundin hatte?« »Eine Freundin, einen Freund ... irgend jemanden«, meinte Frank.
»Allein«, ergänzte Lana. »Wissen Sie, er war ein ganz süßer Kerl.«
»Hat er eine Nachsendeadresse hinterlassen?« »Nein. Ich wollte, er hätte es getan.« »Warum? Schuldet er Ihnen noch Miete?« »Nein. Das nicht. Ich hätte bloß gern gewußt, wo ich ihn ...«
Sie legte den Kopf zu Seite und lauschte wieder den wispernden Stimmen. »Wo Sie was?« fragte Tony.
Sie
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