Flug in Die Nacht
wiederholte erregt: »Auf meinen Befehl, Korvettenkapitän! Die entsprechenden Codes liegen in meiner Kammer im Safe. Sie wissen, daß ich sie habe. Bis ich die Codes holen kann, befehle ich Ihnen, die Ausführung von Roter Mond sofort zu stoppen!«
Der Wachoffizier drehte sich etwas zur Seite, um Yin und Lubu im Blickfeld zu haben. Auch die meisten Angehörigen der Brückenbesatzung verfolgten den Wortwechsel. Dann sagte der Wachoffizier: »Bedaure, Genosse Kapitän, aber solange der Admiral auf der Brücke ist, führt er das Kommando. Ich kann seine Befehle nicht aufheben.«
»Noch sechzig Sekunden bis Roter Mond. Alle Decks melden Gefechtsbereitschaft … fünfzig Sekunden … «
»Sie müssen Ihren Befehl zurücknehmen. Genosse Admiral!« drängte Lubu erneut.
»Legen Sie Ihre Schutzkleidung an, und halten Sie sich bereit, Kapitän«, forderte Yin ihn gelassen auf.
Lubus Blick telegrafierte, was er als nächstes tun würde: Der Kapitän stürzte sich auf den im Kontrollpult für die Fei Lung-9 steckenden Sicherheitsschlüssel. Wurde er abgezogen, war die direkte Verbindung zur Kommandozentrale unterbrochen, so daß Yin den endgültigen Ausführungsbefehl nicht mehr geben konnte. Kam dieser Befehl nicht, würde der Startoffizier den Countdown bei zwanzig Sekunden anhalten.
Als Lubus Finger den Schlüssel berührten, fiel ein Schuß.
Der Kapitän taumelte zurück, hielt sich den Unterleib und brach zusammen. Auf seiner weißen Tropenuniform zeichnete sich ein langsam größer werdender dunkelroter Fleck ab.
»Sie sind ein Feigling, ein ehrloser Mann, Lubu Vin Li«,sagte Yin halblaut und legte die noch rauchende 7,62-mm-Pistole vor sich aufs Kontrollpult. »Sie können mein Schicksal nicht ändern. Durch diesen Versuch haben Sie sich entehrt.«Der Admiral griff nach dem roten Hörer, schob Helm und Maske hoch und sprach ins Telefon: » Kommandozentrale, hier Admiral Yin.«
»Zentrale. Countdown für Roter Mond ist angehalten.«
»Ausführungsbefehl lautet Drachenschwert.
Drachenschwert.« Yin legte den Hörer auf und zog Helm und Maske wieder herunter. Während er die Klettverschlüsse des Ponchos und seiner Schutzhandschuhe andrückte, befahl er über die Bordsprechanlage: »Brücke klar zum Gefecht!
Antennen und Empfänger ausschalten und … «
In diesem Augenblick hörte Yin die Trefferwarnung aus dem Brückenlautsprecher und das laute, wütende Hämmerndes Phalanx-Systems zur Nahbekämpfung von Lenkflugkörpern. Die radargeführte Gatling-Maschinenkanone erfaßte anfliegende Ziele automatisch und eröffnete das Feuer mit einem mörderischen Hagel aus 20-mm-Geschossen, sobald eines in Schußweite kam. Der Admiral wußte jedoch, daß die Wahrscheinlichkeit für eine Vernichtung der anfliegenden Lenkwaffe in letzter Sekunde gering war.
Als Yin gerade ein weiteres Warnsignal hörte, das den Abschuß der Fei Lung-9 in zehn Sekunden ankündigte, ließ eine gewaltige Detonation an Backbord die Hong Lung erzittern. Die anfliegende Lenkwaffe Harpoon war von der Phalanx-MK bei ihrem letzten Hochgehen vor dem Aufschlag getroffen worden und in geringer Entfernung detoniert. Dabei entstand in Yins Ohren ein gewaltiger Überdruck, der die großen Brückenfenster nach innen drückte, bis der jäh folgende Unterdruck sie nach außen wölbte und wie einen Kinderballon platzen ließ. Dieser Unterdruck schien Yin die Luft aus der Lunge zu saugen, und er hatte das Gefühl, die Luft, die er atmete, stehe in Flammen …
An Bord von Bär Null-Eins
Oberst Tamalko sichtete das Vorpostenboot aus gut fünf Kilometern Entfernung und begann zu schießen, sobald er auf weniger als einen Kilometer herangekommen war. Das sofort einsetzende Abwehrfeuer des chinesischen Kriegsschiffs war so heftig, daß er den Eindruck hatte, gegen eine Mauer aus Leuchtspurgeschossen anzufliegen, und schon fürchtete, seinen Angriff abbrechen und aus anderer Richtung erneut anfliegen zu müssen. Aber im nächsten Augenblick – nur Sekunden später – hörte das feindliche Feuer plötzlich auf.
Als die kurzen Feuerstöße aus seiner 20-mm- Maschinenkanone M61A1, die viertausend Schuß in der Minute hinausjagte, das Heck des Schiffs erreichten, legte Tamalko die F-4E in eine steile Linkskurve, hielt sie mit den Ruderpedalen stabil und schaffte es, eine Geschoßspur exakt über die Mittellinie des Vorpostenboots zu legen. Er sah mehrere Sekundärexplosionen und beobachtete sogar, daß das Schiff Schlagseite hatte, die allerdings kaum von einem
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