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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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Liebe oder Freundschaft. Ich will mich nicht mit Luise streiten.
    Luise steckt ein Stück Lakritze in den Mund, streicht sorgfältig einige Krümel von ihrem Rock und sieht mich dann endlich an. Wo nimmt sie nur plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, dieses Lächeln her? Nicht nur ein vor Verlegenheit oder wohlmeinender Freundlichkeit verzogener Mund; ein tiefes, nicht austauschbares Lächeln, das nicht schlechthin mir gilt, sondern mir und meiner Reportage über B.
    »Das ist eine Reportage so ganz nach meinem Herzen«, sagt Luise. Noch nie habe ich von ihr eine ähnlich schwülstige Formulierung gehört. Sie zitiert einige Passagen, die ihr besonders gut gefallen haben. Ich versuche krampfhaft, ein breites Grinsen zu unterdrücken, um nicht auszusehen wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum. Es tut mir so leid, Luise, daß ich dich verdächtigt habe. Ich hätte es wissen müssen, du bist nicht feige. Und Christian hat recht. Wir streichen uns selbst die Hälfte weg, weil wir zu wissen glauben, andere würden es streichen. Wir sehen Gespenster. Wir benehmen uns wie dressierte Hofhunde, die letztlich nur ihre eigene Kette bewachen.
    »Also von mir aus gleich und sofort«, sagt Luise, »aber wir müssen es Rudi zeigen. Ärger kriegen wir mit Sicherheit. Mir macht das nichts, wenn es sich lohnt. Und das lohnt sich. Wenn es gedruckt ist, streu ich mir auch Asche aufs Haupt.
    Aber du kennst Rudi. Und wir können ihm das nicht einfach unter die Weste jubeln.«
    »Nein?«
    »Nein.«
    »Dann wird es nichts.« Unser Vertrauensmann traut sich nichts, hatte Hodriwitzka gesagt, als er hörte, die Einladung an den Minister müsse die Gewerkschaft schreiben, und hatte den Traum vom großen Kulturraum ohne Präsidium schnell vergessen.
    Luise sieht mich an, als erwarte sie von mir eine Bestätigung, ein verbales Einverständnis. Ich habe Lust, unbeherrscht und laut, daß es durch die Pappwände in die Chefredaktion schallt, Scheiße zu schreien.
    »Hör mal, was hast du eigentlich erwartet. Ich habe nichts dagegen, daß du das alles schreibst, bestimmt nicht. Aber ich habe etwas dagegen, daß jemand so etwas schreibt und nicht weiß, worauf er sich einläßt. Dann soll er es lieber gleich lassen. Diese Lamentiererei über die schrecklichen Zeiten, in denen wir leben, und über die fürchterlichen Leute, mit denen wir zu tun haben, kann ich nicht mehr hören. Das halten meine Nerven nicht aus. Du bist bei der Zeitung. Zeitung ist so. Wenn du das nicht aushältst, such dir einen anderen Beruf.«
    Ich schweige. Luise rührt mit dem Teelöffel in ihrer Tasse herum, beobachtet diesen Vorgang aufmerksam. Sie dreht sich auf dem Hühnerbein zu mir, lächelt resignierend, »ist doch wahr«, sagt sie und legt den Löffel aus der Hand.
    Die Situationen, in denen Luise auf emotionale Ausbrüche ihrer Mitarbeiter ungehalten und reizbar reagiert, ähneln einander fast immer. Wutausbrüche, die Luise sich selbst versagt, dürfen auch andere nicht austoben, nicht in Luises Gegenwart.
    Ich saß daneben, als sie, grau vor Wut, zu Günter Rassow in den Großraum kam, ihm sein Manuskript über ein Dorf, unter dem Braunkohle lagerte und das darum abgerissen werden mußte, zurückgab mit der Bemerkung, sie hätte eben eine Stunde mit Strutzer gestritten. Ohne Erfolg. Der Beitrag sei gestorben, weil Strutzer meinte, die Dorfbewohner müßten ihre Häuser und Stachelbeersträucher mit mehr Optimismus verlassen, als im Text zu finden sei. Ihr sei vor Wut ganz schlecht, sagte Luise und ließ sich erschöpft auf einen Stuhl fallen.
    Günter Rassow sah Luise an, als erwarte er im nächsten Augenblick den Widerruf dieser Mitteilung, ein fröhliches April-April oder eine ähnliche Albernheit. Dann begriff er, sprang auf, knallte sein Lineal, das immer am gleichen Platz rechtwinklig zur Tischkante liegt, auf den Schreibtisch, und schrie wie wild, er wolle nun endgültig nichts mehr mit dieser Zeitung zu tun haben, er werde kündigen, das werde man sehen. Nach jedem unserer Versuche, ihn zu besänftigen, wurde Günter um einige Phon lauter. »Da geh ich doch lieber auf den Bau oder backe Brötchen«, schrie er.
    »Mach das«, sagte Luise scharf und verließ mit einem verletzten Lächeln in dem eingefallenen Gesicht den Großraum. Günter Rassow kündigte nicht, Luise erwähnte diesen Vorfall nicht mehr, blieb aber Günter gegenüber einige Wochen spürbar zurückhaltend.
    Seitdem versuchte ich in ähnlichen Situationen, Luise zu schonen, wenn mir derartige

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