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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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dazu und wollen es nur nicht wahrhaben«, sagte Brommel mit dem selbstgefälligen Wohlwollen in der Stimme, das er schon Christian hatte zukommen lassen. »Verstehen Sie mich recht, ich will Sie nicht von Ihrem, wie ich höre, achtenswerten und geraden Weg durch die Wände abhalten, nur aller Erfahrung gemäß werden dabei die Köpfe weich, nicht die Wände.«
    »Wir werden sehn«, sagte Josefa und lächelte in Brommels neugieriges Katergesicht.
    »Viel Erfolg«, sagte Brommel und erhob sein Glas.
    Josefa war froh, seinen Fragen entronnen zu sein. Er war ihr unheimlich mit seinen hinter Schlitzen versteckten Augen und mit seiner Sucht, den Leuten in die Seele zu kriechen.
    Sie saßen bis in die Nacht an Brommels rohem Holztisch, und obwohl das Gespräch nicht mehr auf Josefa kam, musterte Brommel sie zuweilen mit einem Ausdruck, als könne er nur mit Mühe eine Frage oder eine Bemerkung unterdrücken. Unvermittelt warf er in eine Gesprächspause den Satz: »Hüten Sie sich vor zuviel Selbstmitleid.« Ehe Josefa antworten konnte, sprach er weiter über ein Buch, das er gerade las. Als sie aufbrechen wollten, bot er ihnen für die Nacht sein Gästezimmer an.
    Ein kleiner Raum mit einem großen Bett. Christian schloß die Tür, lehnte sich mit verschränkten Armen gegen sie und lächelte unverschämt. »Na und nun?«
    Den ganzen Tag hatte Josefa Lust verspürt, ihn anzufassen, die Nähe zu ihm, die sie empfand, mit den Händen und mit dem Körper zu fühlen. Als sie Brommel gefragt hatte, zu wem gehöre ich dann?, hatte sie einen Augenblick an Christian gedacht. Die Aussicht auf ein gespaltenes Leben schien ihr weniger bedrohlich, solange sie für Christian bleiben konnte, wer sie war. Sie war dankbar für Brommels Angebot, in seinem Gästezimmer übernachten zu können. Sie nahm es als ein Orakel, das ihnen die Entscheidung zwar nicht abnahm, aber zwanglos erleichterte. Jetzt mußten sie die Nacht kartenspielend auf dem Bettrand verbringen, oder sie würde Christian bis zum Morgen zwischen ihren Schenkeln haben, bis er die Angst, die der Tag in ihr hinterlassen hatte, aus ihr herausgepumpt hätte.
    Christian stand noch immer an der Tür. Er lächelte nicht mehr. »Zieh dich aus«, sagte er leise.
    Er blieb an der Tür stehen, als müßte er sie bewachen. Josefa legte sich ins Bett. Christian hängte seinen Pullover über die Stuhllehne, dann hob er Josefas Kleidungsstücke von der Erde auf. Sogar jetzt, dachte Josefa. Christian zog die Decke von Josefa, obwohl es kalt war im Zimmer, strich mit der Hand langsam von ihrer Schulter bis zu den Füßen, betrachtete sie lange. Josefa fror. Sie zog Christian wie eine Decke über sich. Einen Augenblick lagen sie, ohne sich zu rühren. Dann spürte Josefa die Wärme, die sich von ihrem Schoß über Brust und Hals ausbreitete. Sie überließ sich den Wellen, auf denen ihr Körper auf und nieder schwamm. Die Augen schließen. Dunkel. Ein Tintenfisch hält mich in den Armen und treibt mit mir auf dem Ozean. Von einer Welle zur nächsten. Er hält mich fest, damit ich nicht ertrinke. Er hält meinen Mund zu, damit ich kein Wasser schlucke. Halt dich fest, sagt er und taucht mit mir durch eine riesige Welle. Er drückt mir die Luft ab mit seinen Armen. Schwimme, sagt er und läßt mich los. Nur an einem seiner Arme hänge ich noch und gehe nicht unter. Aus dem Kopf des Tintenfisches wachsen Flügel. Jetzt fliegen wir, flüstert er und hebt sich in die Luft. Er soll mich nicht fallen lassen. Höher, schneller, schneller. Wir fallen, ruft der Tintenfisch. Im Sturzflug rasen wir auf die Erde. Jetzt wachsen mir Flügel, große Flügel aus Ahornblättern. Wir fliegen dicht über dem Wasser, und die Wellen klatschen gegen unsere Bäuche. Meine Arme sind weiße weiche Schläuche mit Saugnäpfen an den Innenseiten. Ich habe viele Arme. Ich bin ein Tintenfisch.

VI.
    Zwischen Siegfried Strutzers hochgezogenem Hosenbein und dem grauen Wildlederschuh leuchtete ein roter Strumpf, um den Knöchel verziert von einem blauen Streifen. Der Fuß im roten Wolpryla und grauen Wildleder wippte. Luise saß auf der Kante ihres Sessels, den Ellenbogen auf die Tischkante gestützt, und kritzelte etwas auf einen Zettel. Josefa saß zwischen Luise und Strutzer. Er hoffe, sie hätten ein schönes Wochenende gehabt, sagte Strutzer. Sie hoffe, auch er hätte ein schönes Wochenende gehabt, sagte Luise. Josefa schwieg.
    Luise wüßte wohl, worum es ginge, begann Strutzer.
    Nein, sagte Luise, das wüßte sie

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