Flugasche
nicht.
Josefa sah aus dem Fenster. Außer einem blauweißen Winterhimmel sah sie nichts. Sie hätte aufstehen müssen, um die bunten Autoketten beobachten zu können, die sich morgens in geheimnisvoller Ordnung über den Alex schoben. Sie versuchte nicht zu hören, worüber Siegfried Strutzer sprach. »Halt dich raus, solange es geht«, hatte Luise gesagt, »mit deinem Ohrenrauschen verdirbst du sonst alles und schmeißt womöglich wieder Büroklammern durchs Zimmer.«
Strutzer legte beide Hände auf die Sessellehnen, stellte die Beine nebeneinander, den linken Fuß leicht nach außen gewinkelt, öffnete seinen roten geschwungenen Mund beim Sprechen nur wenig, als müsse er jede Mühe meiden. Der König aus dem Nachen mit dem roten Baldachin. Strutzer hatte einen Sohn, der aussah wie Strutzer. Schon teigig, kleiner roter Mund, müde, in den äußeren Winkeln abfallende Augen. Strutzer hatte eine Frau, die, wie Josefa schätzte, zwei Zentner wiegen mußte. Strutzer besaß weiterhin eine Vierzimmerwohnung und ein Auto. Von einer Datsche wußte Josefa nichts, aber es war anzunehmen, daß sie vorhanden war.
»Bevor das Manuskript nicht vom Betrieb bestätigt ist, hätte Josefa es dir gar nicht geben dürfen«, sagte Luise.
Strutzer hob abwehrend beide Hände. »Moment bitte, Moment bitte«, sagte er leise und lächelte gekränkt. Rudi Goldammer hätte ihn beauftragt, sich der Sache anzunehmen.
Nicht zuhören, dachte Josefa, etwas anderes denken. Sie versuchte sich vorzustellen, wie Strutzer einen Sonntag verbrachte mit der dicken Frau und dem teigigen Sohn, der aussah wie Strutzer. Spätestens um neun steht er auf, duscht, zieht alte, aber saubere Hosen an und einen abgelegten Pullover zum Auftragen. Zum Frühstück gibt es Kaffee, ein Ei, Marmelade. Nein, Marmelade nicht. Schinken, Frau Strutzer hat gute Beziehungen zum Fleischer. Strutzer liest der Familie beim Frühstück die Zeitung vor, empört sich über die Stilblüten auf der Lokalseite, schlägt dann die innenpolitische Seite auf. Strutzer untersteht die Innenpolitik in der Illustrierten Woche. Er schiebt der Frau seine Tasse hin, um darauf hinzuweisen, daß sie leer ist. Die Frau gießt ein.
»Sieh einer an«, sagt Strutzer, »ist er doch dagewesen.« Er klärt den Sohn und die Frau, die nicht eingeweiht sind wie er, über die Zusammenhänge auf. Der Minister hätte nun doch auf der Schriftstellertagung gesprochen, obwohl, wie Strutzer gehört hatte, allgemein befunden wurde, diesen Schreihälsen sei schon genug der Ehre angetan.
»Wie steht denn Josefa dazu?« fragte Siegfried Strutzer.
Josefa hätte zu dem Punkt keine andere Meinung als sie selbst, sagte Luise bestimmt und sah beruhigend zu Josefa. Josefa nickte, sollten sie verhandeln.
Sie war unzufrieden mit ihrer Vorstellung von Strutzers Sonntag. Vielleicht wacht Strutzer am Sonntag um halb sieben auf wie gewohnt, freut sich, weil er noch einmal einschlafen darf, weil er heute nicht antreten muß zum Kampf um die Illustrierte Woche. Er rückt näher an seine dicke Frau, die noch schläft, schiebt seinen Kopf zwischen ihre großen Brüste, denkt einen Augenblick an den schönen Tag, den er haben wird mit der Frau, die nicht zänkisch ist, und mit dem Sohn, der ganz nach ihm gerät.
Nach dem Frühstück, während der Sohn das Aquarium säubert, erzählt Strutzer seiner Frau, daß Rudi Goldammer wieder einmal krank sei und die ganze Verantwortung für die Illustrierte Woche wieder auf seinen, Strutzers, Schultern ruhe. Das alles für sein Stellvertretergehalt, das, wolle man gerecht sein, Rudi Goldammer zustünde statt Strutzer.
Strutzers Frau sieht ihren Mann aus braunen glänzenden Augen an. »Du bist eben zu gut«, sagt sie, »ein anderer an deiner Stelle hätte dem Goldammer längst ein Bein gestellt. Du bist zu weich.«
Strutzer seufzt, steht auf. Solange er auf diese Weise die gröbsten politischen Fehler verhindern könne, fände er doch einen Sinn in der Ungerechtigkeit, sagt er. Und wie nötig es sei, die Linie der Partei immer zu verteidigen, bewiese gerade die Reportage dieser Nadler, die, ließe er sie zu, dem Klassenfeind Wasser auf die Mühle wäre. Strutzer klopfte mit dem Bleistift auf die Sessellehne. »So, wie der Beitrag vorliegt, verantworte ich ihn nicht«, sagte er, »und wann Rudi wiederkommt, ist nicht absehbar.«
Gib es auf, Luise, das schaffst du nicht. Vielleicht glaubt er wirklich an seine Mission und leidet unter uns, wie wir unter ihm leiden.
Strutzer zwischen den
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