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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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dicken Brüsten seiner Frau, wo er sich vom Kleinkrieg gegen Leute mit Abweichungen erholt. Ob Strutzer mit seiner Frau schläft? Josefa nahm eine Zigarette. Strutzer gab ihr Feuer. Er hatte dicke weiße Finger. Dicke weiße Finger auf Strutzers dicker Frau. Josefa sah, wie Strutzer sich auf die Frau wälzte, sich in ihr rieb, bis es ihm kam und er von der Frau abfiel. Strutzer hatte einen Schlafanzug an, die Frau ein angerauhtes Nachthemd, das Strutzer ihr gerade so weit hochgeschoben hatte, wie es nötig war.
    »Josefa«, sagte Luise, »bist du einverstanden?« Luise führte die Verhandlung, Luise war die Geschäftsfrau. Josefa hatte versprochen, nichts zu verderben. Luise nickte Josefa zu.
    »Ja«, sagte Josefa.
    Sie musterte Strutzer, der etwas notierte. Strutzer notierte alles, er hatte immer alles schriftlich. Jedes Telefongespräch eine Aktennotiz.
    Strutzers Sonntag blieb leblos, teigig, verborgen wie Strutzers Augen hinter der getönten Brille. Josefa stellte Strutzer mit Sohn und Frau noch einmal zwischen Schrankwand, Fernseher und Couchgarnitur und ließ sich zum dritten Mal den Strutzerschen Familiensonntag vorspielen. König Siegfried liest im Zentralorgan, riecht nach einem guten Rasierwasser und raucht ein Zigarillo. Frau Strutzer räumt das Frühstücksgeschirr ab. Sohn Strutzer steht linkisch im Zimmer und befragt seinen Vater mit deutlich vorgetragenem Interesse nach den jüngsten politischen Ereignissen im Nahen Osten. Strutzer legt seine Zeitung aus der Hand, reibt sich nachdenklich die Augenwinkel mit Zeigefinger und Daumen. Zu Hause trägt Strutzer keine Brille, auch nicht, wenn er liest. »Setz dich doch«, sagt Strutzer zu seinem Sohn. »Ja, das sieht im Augenblick sehr problematisch aus«, sagt er, bietet dem Sohn ein Zigarillo an und erläutert ihm die jüngsten politischen Ereignisse im Nahen Osten. Die Frau kommt mit einem Tablett, auf dem einige Gläser stehen, aus der Küche. Sie poliert die Gläser, hört dabei den Ausführungen ihres Mannes zu. Sie ist glücklich, weil sie einen klugen Mann hat und einen Sohn, der ganz nach dem Vater gerät.
    »Bring uns doch mal ein Bier«, sagt Strutzer zu seiner Frau. Die Frau holt das Bier, poliert die Gläser. So sitzen Strutzer und sein Sohn bis zum Mittag. Die Frau kocht.
    Strutzers Sonntag blieb unverstellbar. Was Josefa in ihrer Phantasie zu sehen bekam, ähnelte oft gesehenen Szenen in Fernsehspielen über den DDR-Alltag, austauschbar und langweilig, blieb Klischee. Strutzer entzog sich Josefas Vorstellungskraft, oder aber Strutzer war ein Klischee.
    Sie wußte wenig über Strutzer. Nur einmal hatte er ihr versehentlich Zugang zu seinem Wesen verschafft, als er angetrunken war und über seine Schulzeit erzählte. Strutzer stammte aus einem kleinen Dorf in Thüringen. Mit vierzehn Jahren kam er in ein Oberschulinternat, das hundert Kilometer von seinem Dorf entfernt war und das ein Jahr zuvor noch eine Zuchtanstalt der Nationalsozialisten gewesen war. Der Tradition des Hauses fühlten sich auch die neuen Zöglinge noch verpflichtet, als Strutzer dort einzog. Strutzer erzählte von den Strafen, die ältere Schüler über die jüngeren verhängten, wenn die Jüngeren den Gehorsam verweigerten. Strutzer mußte seinen Urin trinken. Als er sich für ein Mädchen interessierte, auf das ein Großer Anspruch erhob, wurden ihm nachts die Genitalien mit schwarzer Schuhcreme eingeschmiert. Es sei eine eklige Sache gewesen, das Zeug wieder abzuwaschen, sagte Strutzer.
    Josefa hatte ihn gefragt, warum er nicht weggelaufen sei, nach Hause in sein Dorf. Schließlich sei der Faschismus vorbei gewesen. Er hätte es damals in Ordnung gefunden, hatte Strutzer geantwortet. Sein Gerechtigkeitsempfinden sei nicht gestört worden. Später, als er zu den Großen gehörte, hätte er den Kleinen die Genitalien geschwärzt.
    »Also, ich notiere«, sagte Strutzer, »abgestimmtes Manuskript von Nadler am Donnerstag an Kollegium. Ist klar.«
    Luise stand auf. Strutzer schob seinen Sessel an den Tisch, etwas schräg, mit geöffnetem Winkel zum Raum. Wie seinen linken Fuß, dachte Josefa. Sie suchte hinter den getönten Brillengläsern das Gesicht des vierzehnjährigen Strutzer. Mager, blond, der kleine geschwungene Mund, mit dem er seine eigne Pisse hatte trinken müssen. Das hat der Mund nicht vergessen, das will er nicht noch einmal. Auch das andere nicht. Schwärzen oder geschwärzt werden. Strutzer hat studiert. Strutzer hat die Parteischule besucht. Strutzer hat sich

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