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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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und ein Stück Bienenstich.
    »Warum?« fragte er.
    »Ich wollte später in einem Verlag arbeiten«, sagte Josefa, »als Lektorin, vielleicht hätte ich auch selbst geschrieben. Ich wollte Bücher herausgeben und nicht das Erscheinen von Büchern verhindern. Ich will nicht einen Beruf haben, den man über Nacht in sein Gegenteil verkehren kann; dann lieber Bäcker oder Arzt, irgendwas, das um Himmels willen nichts mit Kunst zu tun hat.«
    Josefa erinnerte sich an die letzten Sätze des langen leisen Vortrages, den Euler ihr an diesem Tag gehalten hatte.
    »Lesen Sie in den Ferien die Klassiker«, hatte Euler gesagt, »besonders Engels. Denken Sie daran, in welch finsteren Zeiten die gelebt haben, und achten Sie darauf, mit welcher Heiterkeit sie darüber reflektieren konnten.«
    In den Ferien fuhr sie mit Tadeus an die Ostsee. Sie hatten sich ein Zelt geliehen und einen Spirituskocher. Es waren ihre ersten gemeinsamen Ferien. Danach, wußten sie, würden sie sich lange nicht sehen. Zwei Jahre Moskau für den Physikstudenten Tadeus T. »Das ist eine Auszeichnung, Jugendfreund.« Für die Klassiker blieb keine Zeit.
    Am ersten Tag des neuen Studienjahres traf sie Euler auf dem Gang vor dem Seminarraum. Er sei froh, sie wiederzusehen, wenn sie auch nicht gerade heiter wirke, sagte er mit einer Spur von Ironie. Seitdem fühlte sich Euler für Josefa verantwortlich, als wäre es seine Entscheidung gewesen, daß sie nicht Bäcker wurde oder Arzt.
    Vielleicht war es auch so. Vielleicht hätte sie die nächsten vier Jahre nicht ertragen, hätte Euler ihr nicht immer wieder geistige Unabhängigkeit gepredigt, die nicht abhängig vom Lehrstoff sei. Er gab ihr Bücher zu lesen, die auf keiner Literaturliste standen, betreute ihre Jahresarbeit, obwohl sie ein absurdes Thema gewählt hatte, für das sich kein Mentor fand. Nur als Mohnkopf Josefa den Krieg erklärte, war Euler hilflos. »Und warum wollen Sie unbedingt in die Partei?« fragte er.
    »Wenn Sie drin wären, könnten Sie mir jetzt helfen. Vielleicht darum«, sagte Josefa.
    »Ich befürchte, das ist eine Illusion«, sagte Euler traurig, »aber versuchen Sie es.«
    Nach fünf Jahren Studium fiel ihr auch der Abschied von Euler nicht schwer. Sie war froh, daß es ihn gegeben hatte. Aber er gehörte zu einer Zeit, die sie endlich hinter sich haben wollte, nach der sie sich auch nicht zurücksehnen würde. Sie mißtraute allen Schilderungen leichtlebiger Studikerzeiten und der wehmütigen Prophezeiung »Du wirst dir diese Zeit noch einmal zurückwünschen«.

    Die Redaktion der Illustrierten Woche war damals in einem schmalen schwarzgrauen Haus im alten Berliner Zeitungsviertel untergebracht. Josefa hatte im Espresso Unter den Linden einen Kaffee getrunken und lief langsam, weil sie noch eine halbe Stunde Zeit hatte, die Friedrichstraße entlang in Richtung Mauer. Sie versuchte, sich das Bild eines Menschen vorzustellen, zu dem der Name Rudi Goldammer passen könnte. Als sie eine halbe Stunde später dem lebendigen Rudi Goldammer die Hand reichte, verblüffte sie die Ähnlichkeit, die er mit ihrer Phantasiegestalt hatte: klein, weiche Gesichtszüge, der traurige vergrämte Zug um den Mund, die kindlich-freundlichen Augen.
    »Du bist also die Josefa. Du bist doch Genossin? Ja, na, dann sagen wir du, ist sonst so kompliziert. Willst du einen Kognak?« Er selbst trank nichts. »Der Magen, du verstehst.«
    »Bist du begabt?« fragte er.
    »Ja«, sagte Josefa.
    Rudi kicherte. »Das ist gut«, sagte er, »das freut mich, daß du das sagst. Wenn du selbst nicht an deine Begabung glaubst, glaubt auch kein anderer daran.«
    Rudi setzte sich, faltete seine Hände im Schoß, legte den Knöchel des rechten Beines auf sein linkes Knie und betrachtete Josefa lange mit unverhohlenem Wohlgefallen.
    »Du bist jung«, sagte er, »das ist gut. Hier gibt’s viel zuviel Alte. Ich bin auch zu alt.« Er kicherte wie ein Kind, das heimlich etwas Verbotenes gesagt hatte und sich freut, daß die Eltern es nicht gehört haben.
    »Hübsch bist du auch«, sagte Rudi, »das ist schön, da hast du es mit den männlichen Kollegen leichter. Und laß dir nicht von jedem reinreden. Die Dümmsten reden am meisten. Aber das weißt du ja, ich habe ja deine Beurteilung gelesen.« Rudi kicherte wieder. »Da haben sie dir ganz schön eins reingewürgt, das macht nichts. Ich habe unbequeme Mitarbeiter gern.«
    Schon bei dieser ersten Begegnung hatte Josefa die Vorstellung, Rudi Goldammer müsse in einem großen

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