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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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unserem Genossen Strutzer solchen Kummer?« fragte er.
    Josefa glaubte, in dem Lächeln des zuständigen Genossen eine Spur von Ironie zu entdecken, von der sie nicht wußte, ob sie Strutzer galt oder ihr oder ob dieser Zug dem Gesichtsausdruck des Genossen eigen war.
    »Ich glaube nicht, daß ich dem Genossen Strutzer mehr Kummer mache als er mir«, sagte Josefa. Sie lächelte auch, um sich den Ausweg in den Scherz vorzubehalten, falls der Genosse ihre Antwort als anmaßend empfinden würde. Aber er schien eher Gefallen an Josefas respektloser Äußerung zu finden. Er lachte und fragte, ob sie vielleicht einen Kognak zum Kaffee trinken wolle. Er holte aus dem Schrank, der hinter einem Vorhang stand, eine Flasche Schnaps, goß zwei Gläser voll und gab ein Glas Josefa.
    »Aber Spaß beiseite«, sagte er, »ich habe Ihren Artikel gelesen. Ich möchte«, sagte der zuständige Genosse, »daß Sie unsere Entscheidung verstehen.« Ihm hätte die Reportage gut gefallen, sagte er, Leidenschaft und Engagement hätte er deutlich gespürt. Auch sachlich seien ihm keine Unrichtigkeiten aufgefallen. Das alles hätte ihn, das müsse er einmal so sagen, sehr für Josefa und ihre Arbeit eingenommen.
    Die Sekretärin brachte den Kaffee. Josefa trank abwechselnd einen Schluck Kognak und einen Schluck Kaffee, zog an ihrer Zigarette. Die Sonnenstreifen, die quer über Möbel und Fußböden liefen, die melodiöse Stimme des Genossen, er mußte aus dem Norden stammen, und Josefa hörte den nördlichen Dialekt mit seinem gerollten R gern, verwirrten Josefa. Als hätte sie nicht eben erst die Unbehaglichkeit des Baus, der Kontrolle und der eigenen Unsicherheit kühl und entnervend empfunden, saß sie gelöst im Sessel, errötete leicht unter den lobenden Worten des Genossen und hatte das erleichternde Gefühl, doch dazuzugehören, wie früher, als sie Männer wie ihn nach der Uhrzeit oder nach einer Straße gefragt hatte, bis das Mißtrauen sie wieder weckte. Schließlich hatte dieser Genosse ihr sein schlichtes Nein übermitteln lassen, dazu durch Strutzer.
    Er wünschte sich, sagte er jetzt, es würden alle Journalisten so ehrlich und kämpferisch für die Sache eintreten. Er sagte »unsere Sache«.
    Demzufolge wünsche er, sagte Josefa, unbedrucktes Papier statt der Zeitungen austragen zu lassen.
    Der Genosse nickte zufrieden. Mit dieser Bemerkung, sagte er, offenbare Josefa einen wesentlichen Fehler. »Sie sind zu absolut«, sagte der Genosse. Zu jeder Zeit gäbe es im Klassenkampf ein taktisches und ein strategisches Ziel. Nun schlösse das strategische Ziel ganz gewiß die Beseitigung einer Stadt wie B. ein. Und soviel wüßte Josefa gewiß selbst, daß es vor Jahren eine Überlegung gegeben hätte, B. als Wohnstadt aufzulösen, die Bewohner umzusiedeln in gesündere Orte, von denen aus sie mit Bussen zu ihrer Arbeit fahren sollten. Dann aber hätten die Wohnungen nicht ausgereicht, und die Konzeption geriet ins Vergessen. Wie nun und wann die Beseitigung von B. vonstatten zu gehen hätte, sei eine taktische Frage. Das Mißverständnis zwischen ihm und Josefa – für mehr als ein Mißverständnis wolle er es nicht ansehen – bezöge sich ausschließlich auf die Taktik. Ohne einen Gesichtsmuskel zu rühren, veränderte der Genosse den Ausdruck seines Gesichts allein durch eine plötzliche auffällige Starrheit der Augen, die er streng auf Josefa richtete. Es gäbe auch andere taktische Überlegungen, sagte er mit einer Monotonie in der Stimme, die Josefa bedrängte, Überlegungen, die, wenn auch nicht auf den Klassenfeind bezogen, doch von beachtlicher Tragweite seien, und es sei bedauerlich, daß gerade die wertvollsten Genossen so wenig Verständnis aufbrächten für gewisse Unmöglichkeiten, die er sofort ändern würde, wenn er könnte. Jedes Wort hatte der Genosse in Dehnungen und Schleifen gesprochen, als hätte jeweils ein anderes darin Platz finden sollen, Worte, die er mit seinen starren Augen Josefa noch einzugeben suchte, während er schon schweigend auf ihre Antwort wartete.
    Josefa versuchte zu fassen, was der Genosse ihr eben mitgeteilt hatte. Er war von anderer Art, als sie und Christian ihn ausgedacht hatten bei ihren Proben. Die erwarteten Vorwürfe blieben aus. Statt dessen das eindringliche Bemühen um ihr Verständnis, auf das er auch hätte verzichten können, aber nicht wollte. Wozu brauchte er das hier hinter seinen Sonnenrollos?
    »Ich kann so nicht denken«, sagte sie, »ich verstehe nicht.«
    »Sie sind

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