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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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nach der Männer Regeln. Ich frag euch, Frauen, wollt ihr das?«
    Die kurzhaarige Josefa schwieg. Die Frauen im Saal begannen zu klatschen, erst einige, dann immer mehr, in den vorderen Reihen setzte sich ein schläfriger Rhythmus durch, der langsam von den anderen übernommen wurde.
    »Warum klatscht ihr?« schrie Josefa. »Warum klatscht ihr auf eine Frage?«
    Die Frauen klatschten weiter. Dann löste sich der Rhythmus auf in Hunderte einzelner Handschläge, die leiser wurden und spärlicher, bis endlich Ruhe war.
    »Warum habt ihr geklatscht?« fragte Josefa.
    Die Frauen klatschten wieder, diesmal nur kurz.
    »Warum versteht ihr denn nichts?« brüllte Josefa und schlug mit der Faust auf das Rednerpult.
    Die Frauen klatschten.
    Das Telefon klingelte. Statt ihren Namen zu nennen oder einen guten Tag zu wünschen, sagte Luise: »Hör mal, Josefa.« Sie hätte sich alles noch einmal genau überlegt, hätte auch mit ihrem Mann darüber gesprochen, und sie seien gemeinsam zu der Auffassung gekommen, es wäre besser, Josefa erschiene zu der Versammlung. Das würde zwar an dem Ergebnis nichts ändern, das wüßte sie auch. Aber wozu wolle Josefa die Leute noch provozieren. Sie brauche doch gar nicht viel zu sagen, es genüge im Prinzip ihre Anwesenheit, um die Sache nicht noch schlimmer zu machen, als sie ohnehin sei. Natürlich würde sie anderenfalls bei ihrem Versprechen bleiben und ausrichten, was sie gestern vereinbart hatten. »Aber denk doch mal ein Stückchen weiter«, sagte Luise, »schließlich mußt du ja irgendwo arbeiten. Bis jetzt läßt sich alles noch einmal einrenken. Aber wenn du sie heute auch noch brüskierst …«
    »Luise«, unterbrach Josefa, »du hast doch gesagt, ich soll in einen Betrieb gehen, mich qualifizieren. Glaubst du, bei der Auswahl ihrer Bandarbeiterinnen sind die besonders wählerisch? Mich geht das alles nichts mehr an. Ich komme nicht.«
    Luise schwieg, dann fragte sie in einem Ton, in dem nichts mehr mitschwang von der mütterlichen Betulichkeit, mit der sie ihre Ermahnungen vorgetragen hatte: »Willst du wirklich in einen Betrieb?«
    »Ja«, sagte Josefa.
    »Darüber reden wir noch mal«, sagte Luise, »ich rufe dich nach der Versammlung an.«
    Josefa setzte sich auf den Rand des Bettes, goß Wein in das halbleere Glas, trank einen Schluck, legte eine Schallplatte auf mit griechischer Musik, die Christian ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, griff in die Keksbüchse, die auf dem Regal stand, biß in einen Keks. Er war ranzig, sie warf ihn zurück in die Büchse, setzte sich wieder auf das Bett, legte sich hin, rollte sich in die Decke. Ja, hatte sie gesagt, ja, ich gehe in einen Betrieb. Sie hatte diese Möglichkeit in den letzten Wochen häufig in Erwägung gezogen, hatte sie aber immer wieder von sich geschoben, weil sie überzeugt war, es würde etwas geschehen, das sie davor bewahrte. Sie hatte nicht gewußt, was sie erwartete oder wen, einen Zufall eben, der ihre Situation klären würde. Anfangs hatte sie gehofft, Strutzer würde sich das Bein brechen oder sein Blinddarm würde sich entzünden. Vielleicht, dachte Josefa, wäre das vor sechs Wochen sogar noch eine Lösung gewesen. Hätte Strutzer anläßlich der Frauenehrung zwei Gläser Wein mehr getrunken, wäre dann auf dem gebohnerten Fußboden des weißen Ganges ausgeglitten und hätte sich den Knöchel gebrochen, hätte er nicht den zuständigen Genossen im Höchsten Rat besuchen können, um ihm den Beitrag über B. zur Entscheidung vorzulegen und ihm, nachdem der zuständige Genosse in seinem Sinne entschieden hatte, zu erzählen, wie uneinsichtig die Genossin Nadler sich gezeigt hätte und wie gering die Unterstützung gewesen wäre, die ihm die übrigen Genossen in dieser Angelegenheit erwiesen hätten. Aber Strutzer trank nicht mehr als ihm bekam, und drei Tage später teilte er Josefa mit, sie sei zu einer Aussprache mit dem zuständigen Genossen geladen, morgen früh um zehn Uhr.
    Durch eine kleine Tür in der Längsfront betrat Josefa das Gebäude, stand in einem hell beleuchteten Raum; Sessel, Tisch, ein Aschenbecher, links ein Fenster in einer Holzwand, die Anmeldung. Josefa stellte sich vor den Schalter, der so gebaut war, daß die Verständigung des Pförtners mit dem Besucher und die Verständigung des Besuchers mit dem Pförtner nur durch eine Öffnung zwischen dem unteren Rand der mattierten Glasscheibe und der hölzernen Brüstung und durch ein geräuschdurchlässiges Sieb in der Mitte der Scheibe

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