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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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heftig mit der Schwanzflosse schlug und wild mit den Armen ruderte, das Teufelchen abzuwerfen. Das Teufelchen schwang die Peitsche und sang:
    »Wacht auf, Verdammte dieser Erde.«
    »… noch mehr Dinge zwischen Himmel und Erde«, schloß der Genosse. Josefa hatte nicht zugehört. Die Müdigkeit lief auf Spinnenbeinen von ihren Fußsohlen bis unter die Kopfhaut. Was wollte der Mann jetzt noch von ihr. Es war entschieden. Aushalten, den Mann aushalten.
    »Ja«, sagte sie.
    »Warum ja?« fragte der Genosse.
    »Ja, warum«, sagte Josefa. Jetzt werde ich nicht einmal mehr zum Alex fliegen können, dachte sie, ich werde laufen müssen. Warum war sie so müde, plötzlich, grundlos. Der Mann sah auf die Uhr an seinem Handgelenk.
    »Verzeihung, können Sie mir bitte sagen, wie spät es ist?« fragte Josefa mit einer dünnen Kinderstimme.
    Der Mann sagte es ihr. Er entschuldigte sich bei Josefa, aber eine dringende Beratung bei dem für ihn zuständigen Genossen hätte bereits begonnen. Ob ihr übel sei, und ob er ihr helfen könne, fragte er. Er begleitete sie zur nächsten Abzweigung des Ganges und erklärte ihr den Weg zum Paternoster.

II.
    In den folgenden Wochen hatte Josefa nie an den zuständigen Genossen denken können, ohne einen Schmerz in der Magengrube zu verspüren, den eine diffuse Angst verursachte. Schon nachdem sie den Bau verlassen hatte, wieder umgeben von eiligen und bummelnden Passanten, die zufrieden in die grelle Märzsonne blinzelten oder sich suchend nach einer Parkbank umsahen, die die zuständige Behörde so schnell nicht hatte aufstellen lassen können, schon während Josefa sich über das Brückengeländer lehnte und auf das schäumende Wasser des bedeutendsten hauptstädtischen Flusses sah, durchzog sie ein langsamer Schreck, der salzig schmeckte. Was sollte den zuständigen Genossen davon abhalten, Strutzer von Josefas Ausfällen gegen ihn zu erzählen, oder dem für ihn zuständigen Genossen zu berichten, daß eine gewisse Josefa Nadler die Arbeiter aufwiegelte gegen die Obrigkeit und sie zum Briefschreiben animierte. Oder er könnte Rudi Goldammer fragen, ob er sein schweres Amt nicht einem anderen überlassen wolle angesichts Rudis schwerer Krankheit, von der er gehört hätte. Josefa starrte auf einen Punkt des Wassers, der mit längerem Betrachten langsam anschwoll und auf Josefa zukam. Nur die feuchten Markierungen an dem gemauerten Flußbett bewiesen, daß der Wasserstand unverändert war.
    Zwei Wochen später fand eine Versammlung statt, in der der zuständige Genosse vor den Genossen der Illustrierten Woche über die Darstellung des sozialistischen Wettbewerbs in der Presse referieren sollte. Als Josefa den Versammlungsraum betrat, hatte der zuständige Genosse schon im Präsidium neben Strutzer Platz genommen. Strutzer sprach leise und vertraulich auf ihn ein, hin und wieder mit dem Bleistift auf die Unterlagen klopfend, die vor ihm lagen. Der Genosse hielt den Kopf leicht zu Strutzer geneigt, sah abwesend zwischen den Versammelten hindurch, und Josefa entdeckte an ihm wieder den Zug um Mund und Nase, der Ironie vermuten ließ. Die Augen des Genossen, bis dahin ziellos durch den Raum gleitend, blieben auf Josefa haften, ein flüchtiges Kopfnicken über die Tische, unverbindliche Geste, während Strutzer weitersprach. Josefa glaubte in Strutzers Verhalten Anzeichen von Triumph zu entdecken, ein siegreiches Königslächeln, unverkennbare Genugtuung in den müden Augen hinter den getönten Gläsern. Sie erwartete, er würde aufstehen, mit dem Bleistift um Ruhe klopfen und sagen, nicht ohne Kränkung in der Stimme: »Genossen, es gibt unter uns eine Genossin, die einen anderen Genossen als fette Qualle bezeichnet hat und als einen besonderen Spatz und als weitere tierische Arten. Ich bitte die betreffende Genossin, dazu Stellung zu nehmen.« Luise, Günter Rassow, Hans Schütz würden die Köpfe in die Hände stützen und mühsam ihr Lachen unterdrücken, die übrigen würden entrüstet oder hämisch abwarten, wie Josefa sich wohl aus dieser Schlinge ziehen wollte.
    Zu diesem Zeitpunkt hatte Josefa den Brief an den Höchsten Rat bereits geschrieben. Nachträglich erschien ihr dieser Akt wahnwitzig, und die Angst vor den Folgen verekelte ihr das Erwachen und das Heimkehren und den Blick in den Briefkasten. Eine Woche war bereits vergangen, seit sie das Kuvert mit der maschinegeschriebenen langen Adresse in den gelben Kasten geworfen hatte, und seitdem hoffte sie, der Brief sei auf dem

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