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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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dem Wind gehorchend. Das blieb. Ihr schien, als wüßte niemand von denen, die außer ihr an dem langen eckigen Tisch saßen, daß die Wolken zogen, wohin sie ziehen mußten, und als dränge darum der Himmel in diesem Augenblick nur für sie durch die Fenster. Was konnte Strutzer an diesem Himmel interessieren, obwohl Strutzer sich selbst als einen Freund der Natur bezeichnete. Er züchtete Tulpen in einem kleinen Gärtchen vor seinem Haus. Geflammte Tulpen, violette Tulpen, von einer Dienstreise hatte er sich holländische Zwiebeln mitgebracht, die er einigen Kennern in der Illustrierten Woche gezeigt hatte. Während der Zeit der Tulpenblüte stellte Strutzer sich hin und wieder ein besonders schönes Exemplar seiner Zucht auf den Schreibtisch und erklärte jedem, der es sah, wie er die Tulpe zu solcher Leistung veranlaßt hatte. Nur im vergangenen Jahr wurde die Tulpenzeit für Strutzer gestört. Wilde Kaninchen hatten sein Tulpenbeet entdeckt, und an jedem Morgen, wenn er nach den Tulpen sah, fand er einige Stiele ohne Kopf. Strutzer legte sich mit einer Schrotflinte auf die Lauer. Aber die Kaninchen, gewitzte Großstadtkaninchen, kamen immer erst, wenn Strutzer müde und voller Hoffnung, seine Tulpen blieben in dieser Nacht verschont, ins Bett gegangen war. Tagelang lief Strutzer bekümmert und mißlaunig durch die Redaktion. An einem Wochenende beschloß er, die ganze Nacht zu wachen. Die Kaninchen kamen in der frühen Dämmerung. Strutzer schoß. Trotz seiner militärischen Ausbildung war er kein guter Schütze. Vor allem aber, sagte Strutzer später, sei die Sicht an diesem Morgen, der feucht und diesig war, schlecht gewesen. Strutzer traf ein Kaninchen, tötete es aber nicht. Getroffen flüchtete es in die Sträucher und starb dort, langsam. Das Kaninchen schrie. Strutzer, zufrieden über seine gerechte Vergeltung, ging schlafen. Die übrigen Bewohner des Hauses erwachten an diesem Sonntag früh vom Schreien des Tiers. Niemand im Haus, außer Strutzer, besaß eine Waffe, mit der er das Kaninchen endgültig hätte totschießen können, und Strutzer schlief. Am Montag beschwerte er sich bei Luise, der er schon einmal drei von seinen Tulpen geschenkt hatte und von der er wußte, daß sie in ihrem Garten Kräuter anbaute, über seine Nachbarn, die ihn seitdem nicht mehr gegrüßt hätten.
    Strutzer interessierten die Wolken nicht.
    Josefa konnte nicht aufhören, durch das wellige Glas in die Luft zu sehen, die sich zunehmend dunkel färbte. Schwarz, vermischt mit einem tiefen Violett. Auch die Stimmen rundum hörte sie wie durch Glas, und sie wünschte, alle schwarzen Wolken der Welt könnten sich jetzt in diesem Rechteck über ihnen versammeln, um dann in fünf oder zehn Minuten, länger brauchte sie nicht, in einem schaurigen Gewitter über ihren Köpfen zu explodieren. Donner, Sturzflut, Blitze, alles in einem, daß die Fensterscheiben sich biegen, die erdbebenfesten Wände zittern, Worte und Schreie verschlungen vom schrecklichen Krachen des Donners. Alle blicken in den Himmel und auf die Straßen, wo nichts zu erkennen ist. Nur ahnen können sie, wie Menschen, von Panik besessen, vom Regen in die Hauseingänge gepeitscht werden, wie Autos hilflos auf den überschwemmten Fahrbahnen stehen. Im Getöse das Wimmern der Sirenen. Du lieber Gott, hilf, denken sie, und Worte wie himmlische Heerscharen und Sintflut. Strutzer faltet heimlich die Hände, Ulrike Kuwiak heult, Josefa hat keine Angst, sie weiß, daß die Wolken nur protestieren gegen die mangelnde Ehrfurcht der Menschen, gegen ihre Vergeßlichkeit und gegen ihren Kleinmut. Und dann: Ruhe. Die Wolken ziehen leise lachend ab in die acht Richtungen, aus denen sie gekommen sind, und hinter ihnen wartet die Sonne. Wieder sehen alle in den Himmel, bestürzt und nachdenklich. Josefa und den Brief haben sie vergessen.
    Strutzers scharfer Anruf riß Josefa aus ihrer Vision. »Nicht nur, daß du uns nichts zu sagen hast, nein, du hörst uns nicht einmal zu. Wir haben alle, die wir hier sitzen, doch mehr zu tun, als uns mit dir zu beschäftigen.« Strutzers roter Mund legte sich beim Sprechen in scharfe Falten. Mit seinen Händen stützte er sich auf den Tisch, als müsse er ihn festhalten, der Bleistift lag schräg auf dem Schreibpapier. Josefa zuckte zusammen, öffnete den Mund, schloß ihn wieder, ohne etwas zu sagen. Langsam stieg ihr das Blut in den Kopf, begann leise hinter der Stirn zu rauschen und in den Ohren.
    »Ich fasse eigens für die Genossin Nadler

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