Flut: Roman (German Edition)
selbst wenn ihre verzweifelt ausgestreckten Hände irgendetwas zu fassen bekommen hätten, hätten sie wohl kaum die Kraft gehabt, sich daran festzuhalten. Immer wieder prallten ihre Beine gegen unsichtbare Hindernisse, die sich unter der tobenden Wasseroberfläche verbargen, dann schlug irgendetwas mit so furchtbarer Gewalt gegen ihre Rippen, dass sie erneut beinahe das Bewusstsein verloren hätte.
Erst als sich ihre Sinne wieder klärten, bemerkte sie, dass sie sich kaum noch bewegte. Sie lag auf dem Rücken, bis über die Hüften im eisigen Wasser, das weiter mit unbarmherziger Kraft an ihren Beinen zerrte und jedes bisschen Wärme und Leben aus ihrem Körper zu reißen versuchte, aber Kopf und Schultern hatten sich in den Wurzeln eines Baumes verfangen, der noch vor Tagesfrist im Wald gestanden hatte, nun aber ein Stück weit in den neu entstandenen See hineinreichte. Sie spürte, dass sie aus zahlreichen Kratzern und Schnittwunden im Gesicht und am Hals blutete, aber dieser Schmerz war ihr plötzlich willkommen; er bewies, dass sie noch lebte und vielleicht gegen jede Wahrscheinlichkeit sogar noch weiterleben würde.
Rachel blieb einige Sekunden lang reglos und mit geschlossenen Augen so liegen, dann versuchte sie sich herumzudrehen, gab diese Idee aber sofort wieder auf, als sie spürte, mit welch furchtbarer Kraft das Wasser an ihren Beinen zerrte. Statt ihr Gewicht zu verlagern und auf diese Weise vielleicht erneut ins Wasser zu stürzen – sie war sicher, dass ihr das Schicksal keine zweite Chance geben würde und sie binnen Sekunden ertrinken müsste, wenn sie noch einmal in den mörderischen Sog geriete –, drückte sie die Ellbogen in den Boden und begann sich nur mit der Kraft ihrer Arm- und Schultermuskeln rückwärts weiter aus dem Wasser herauszustemmen. Ein qualvolles und unendlich langsames Unterfangen, das ihr jedes bisschen Kraft abverlangte, das sie aufbringen konnte. Irgendwie schaffte sie es. Sie robbte auf dem Rücken liegend weiter aus dem Bach heraus, bis sie auch Widerstand unter den Füßen spürte und die Absätze in den Boden stemmen konnte. Selbst dann wagte sie es noch nicht aufzustehen, sondern kroch weiter und mit verzweifelter Konzentration rücklings aus dem Wasser heraus und brach schließlich vollkommen erschöpft zusammen.
Mehrere Minuten lang blieb Rachel mit geschlossenen Augen, keuchend und verzweifelt nach Luft ringend, auf dem Rücken liegen, bis sie sich weit genug erholt hatte, um wenigstens die Lider heben und sich auf die Ellbogen hochstemmen zu können. Ihr Herz jagte, als wolle es aus ihrer Brust springen, und es gab oberhalb ihrer Hüften nicht einen Muskel in ihrem Körper, der nicht wehtat, nicht einen Zentimeter Haut, der nicht zerschunden zu sein schien. Alles, was darunter lag, war vollkommen gefühllos, taub von der mörderischen Kälte des Wassers, in dem sie gelegen hatte. Sie versuchte die Beine zu bewegen, aber es ging nicht; ihre Muskeln verweigerten ihr einfach den Dienst.
Rachel richtete sich weiter auf, so weit es eben ging, atmete ein paar Mal bewusst tief ein und aus und stemmte schließlich die Handflächen in den Boden, um sich ganz aufzusetzen. Diesmal spürte sie ihre Beine, auch wenn sie gern darauf verzichtet hätte. Sie hatte Schmerz erwartet, aber stattdessen machte sich ein schier unerträgliches Kribbeln in ihren Muskeln breit, ein Gefühl wie ein kommender Krampf, fast schlimmer als Schmerz.
Wahrscheinlich würde es einige Minuten dauern, bevor sie auch nur in der Lage war aufzustehen – von Gehen gar nicht zu reden. Aber sie lebte.
Wo war Benedikt? Alarmiert sah sie sich in alle Richtungen um, aber das Ergebnis war wie erwartet: Zu beiden Seiten konnte sie nichts erkennen außer undurchdringlicher Dunkelheit und vor ihr lag das glitzernde Band des Baches, der nun endgültig zu einem reißenden Gewässer geworden war. Das Dröhnen des Wassers übertönte jeden anderen Laut, so dass sie es sich gleich sparte, nach Benedikt zu rufen.
Sie versuchte noch einmal, sich in die Höhe zu stemmen, und fast zu ihrer eigenen Überraschung gelang es ihr diesmal zumindest auf die Knie zu kommen – auch wenn es so wehtat, dass sie die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht zu wimmern. Gefühl und Leben kehrten nur allmählich in ihre Beine zurück und es war ein schmerzhafter, äußerst langwieriger Prozess. Es dauerte sicherlich fünf Minuten, ehe sie auch nur so weit war, auf den eigenen Füßen stehen zu können, und woher sie die Kraft
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