Flut: Roman (German Edition)
der scheinbar zu pulsieren begann, wenn man nur lange genug hinsah.
De Ville kam hinter ihr die Treppe herunter. Er blieb unmittelbar neben ihr stehen und Rachel fragte: »Wo sind wir? Das ist doch nicht der Flughafen von Rom!«
»Fiumicino ist überlastet«, antwortete De Ville. »Die Leute versuchen, die Stadt zu verlassen. Wir mussten ausweichen. Das hier ist Ciampino.«
»Ciampino?«
»Ein alter Militärflughafen«, sagte De Ville.
»Und der Privatflugplatz des Vatikan.« Uschi hatte in Franks Begleitung die Maschine ebenfalls verlassen und kam mit schnellen Schritten die Treppe herab, blieb dann aber auf halber Höhe stehen, um De Ville herausfordernd anzufunkeln. »Die Maschine des Papstes landet hier, damit er sich nicht an dem Boden besudelt, über den das gemeine Volk gegangen ist.«
Die Stunde, die seit ihrem Weggang aus der Berghütte vergangen war, hatte keineswegs ausgereicht, Uschis Zorn zu besänftigen. Ganz im Gegenteil. Rachel kannte Uschi gut genug, um zu wissen, dass sie innerlich vor Zorn brodelte. Sie war niemand, der Ärger oder gar eine Niederlage einfach so herunterschluckte.
De Ville drehte sich langsam herum und maß sie mit einem fast traurig wirkenden Blick. Rachel hoffte, dass er vernünftig genug sein würde, sich nicht auf dieses Gespräch einzulassen, das ohnehin zu nichts führen konnte. Und als hätte er ihre Gedanken gelesen, beließ er es bei einem nur angedeuteten, verzeihenden Lächeln (was natürlich der sicherste Weg war, um Uschi vollends auf die Palme zu bringen) und trat dann demonstrativ einen Schritt zur Seite, um ihr und Frank Platz zu machen. Fast zu Rachels Erstaunen verzichtete auch Uschi auf eine weitere spitze Bemerkung, sondern setzte nur eine kampflustige Miene auf und ging dann mit schnellen Schritten weiter. Frank folgte ihr in einigem Abstand. Er bewegte sich schleppend, als bereite ihm das Gehen Schmerzen, und als Rachel genauer hinsah, fiel ihr auf, dass er tatsächlich das linke Bein ein wenig nachzog. Seit De Villes überraschender Befreiungsaktion in der Hütte hatte er kein Wort mehr gesagt – jedenfalls nicht in Rachels Gegenwart – und sie nahm sich nun das erste Mal Zeit, ihn genauer zu mustern. Er war sehr blass. Sein Gesicht war stark angeschwollen und sein Blick flackerte unstet hin und her, als wäre es ihm unmöglich, sich länger als eine oder zwei Sekunden auf einen bestimmten Punkt zu konzentrieren. Benedikt schien ihn schlimmer verletzt zu haben, als Rachel bisher klar gewesen war, und sie ertappte sich dabei, tatsächlich ein flüchtiges Gefühl von Mitleid für ihn zu empfinden.
»Kommen Sie.« De Ville machte eine Handbewegung auf das barackenähnliche flache Gebäude, vor dem die Maschine zum Stehen gekommen war. Sämtliche Fenster auf der ihnen zugewandten Seite waren erleuchtet, aber das Glas war mit einer milchigen Folie beklebt, so dass man nur erkennen konnte, dass sich dahinter etwas bewegte, nicht, was oder gar wer.
Drinnen erwartete sie ein fensterloser Gang, der über die gesamte Länge des Gebäudes zu führen schien und von dem an beiden Seiten zahlreiche Türen abzweigten. Es gab keinerlei Beschriftungen oder Hinweise auf das, was sich hinter diesen Türen befinden mochte, und es war vollkommen still. De Ville führte Uschi, Frank und sie fast über die gesamte Länge des Ganges und öffnete eine der letzten Türen auf der rechten Seite. Dahinter lag ein ebenfalls fensterloser, aber taghell erleuchteter und behaglich eingerichteter Raum, in dem jemand offenbar schon Vorbereitungen für ihre Ankunft getroffen hatte: Auf dem Glastischchen in der Mitte standen eine verchromte Isolierkanne, eine einzelne Tasse und ein Teller mit Wurst- und Käsesandwichs, auf einem der drei dazugehörigen Stühle lag ein Stapel sorgfältig zusammengefalteter Kleidungsstücke. De Ville machte eine einladende Geste, schüttelte aber den Kopf, als Rachel an ihm vorbeiging und Uschi sich ihr anschließen wollte. »Ihr Zimmer ist nebenan«, sagte er.
Uschis Gesicht verfinsterte sich erneut, aber sie protestierte zu Rachels Erstaunen nicht einmal, und auch Rachel selbst schwieg dazu. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass sie getrennt wurden, aber sie wusste auch, wie sinnlos jeder Widerspruch war. Abgesehen von den äußeren Umständen hatte sich gar nicht so viel geändert: Sie waren nach wie vor Gefangene. Nur dass sie über die Identität und die Beweggründe derer, in deren Gewalt sie sich befanden, jetzt beinahe noch weniger wusste als
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