Flut: Roman (German Edition)
zuvor.
»Fünfzehn Minuten«, sagte De Ville. »Ich hole Sie dann ab.«
Er schloss die Tür hinter ihr. Rachel wartete einige Sekunden lang auf das Geräusch eines einrastenden Schlosses oder eines Riegels, der vorgelegt wurde, und drückte schließlich prüfend die Klinke herunter. Sie ließ sich bewegen, und wenn sie es gewollt hätte, hätte sie die Tür auch öffnen können. Sie verzichtete darauf, aber die Tatsache, dass man sie nicht eingeschlossen hatte, beruhigte sie überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Der Umstand, dass man ihr offenbar gestattete, dieses Zimmer zu verlassen, zeigte ihr nur, wie sicher ihre Bewacher sich ihrer Sache waren.
Sie trat von der Tür zurück und unterzog das Zimmer einer zweiten flüchtigen Musterung. Die Einrichtung war einfach, zweckmäßig und auf eine schwer zu beschreibende Weise anheimelnd, und auch wenn sie sich auf das Nötigste beschränkte, sagte sie doch viel über die Bestimmung dieses Raumes aus. Es gab ein schmales, für eine Person ausreichendes Bett, Tisch und Stühle sowie eine halbhohe Eichenkommode, auf der ein Radioempfänger und ein kleiner Fernseher standen. Kein Telefon. Dem Eingang gegenüber befand sich eine zweite Tür, hinter der sich eine Toilette und eine winzige Duschkabine verbargen. De Ville hatte von einer Viertelstunde gesprochen und Rachel zweifelte nicht daran, dass er auf die Sekunde pünktlich erscheinen würde. Dennoch verbrachte sie zehn dieser ihr zugestandenen fünfzehn Minuten damit, unter der Dusche zu stehen und die Temperatur des Wassers langsam immer mehr zu steigern, bis sie schließlich die Grenze dessen erreicht hatte, was sie gerade noch aushalten konnte. Es half nichts. Ihre Haut war krebsrot von dem heißen Wasser und das Bad mittlerweile so voller Dampf, dass sie kaum noch die berühmte Hand vor Augen erkennen konnte, aber sie hatte immer noch das Gefühl, innerlich zu einem Eisklotz geworden zu sein. Sie fror nicht mehr wirklich. Die Kälte hatte eine andere, viel schlimmere Qualität erreicht, die ihr das Gefühl gab, nie wieder im Leben wirklich warm zu werden.
In eines der beiden weichen Badetücher gewickelt, die sie in der Dusche vorgefunden hatte, ging sie in den kleinen Wohnraum zurück und zog sich an. Die Kleidungsstücke, die man ihr bereitgelegt hatte, hatten nicht nur genau ihre Größe, sondern entsprachen auch auf verblüffende Weise denen, in denen sie hierher gekommen war: Jeans und festes Schuhwerk, ein warmer Pullover und eine dunkle Jacke aus kräftigem Stoff, deren Schnitt vielleicht nicht der neuesten Mode entsprach, die aber durchaus in ihrem eigenen Kleiderschrank hätte hängen können, ohne aufzufallen. Das war kein Zufall. Jemand hatte gewusst, dass sie kommen würde, und diese Kleidung für sie bereitgelegt.
Nachdem sie sich angezogen und noch einmal das Haar trockengerubbelt hatte, goss sie sich Kaffee aus der silbernen Kanne ein und begann an einem der bereitgestellten Sandwichs zu knabbern; am Anfang lustlos und ohne Appetit, einzig aus der Überlegung heraus, dass sie ihrem Körper ein wenig von der Energie zurückgeben sollte, die sie ihm in den letzten Stunden in so überreichem Maße abverlangt hatte. Aber nach dem ersten Bissen merkte sie plötzlich, wie hungrig sie war, und verputzte innerhalb kürzester Zeit nicht nur das halbe Dutzend Sandwichs, das auf dem Teller gelegen hatte, sondern hätte vermutlich ohne Probleme noch eine zweite Portion geschafft. Als sie fertig war, waren die fünfzehn Minuten längst vorbei, aber De Ville überraschte sie, indem er zu spät kam. Unschlüssig schenkte sie sich eine zweite Tasse Kaffee ein, nippte daran und schaltete schließlich den Fernseher ein. Es gab nur drei Programme. Eines zeigte einen Spielfilm in italienischer Sprache, das zweite brachte ein klassisches Konzert, das sie beinahe noch weniger interessierte. Auf dem dritten und letzten Kanal, auf den sie schaltete, lief eine Nachrichtensendung, zwar ebenfalls in italienischer Sprache, so dass sie kein Wort verstand, aber das war auch nicht nötig. Die Bilder sagten genug. Es waren dieselben Bilder, die auch in den Nachrichtensendungen zu Hause in den letzten drei Wochen beinahe ununterbrochen gelaufen waren – Bilder von Überschwemmungen, von weggerissenen Brücken und verheerten Feldern, von Straßen, in denen das Wasser so hoch stand, dass die Bewohner mit Schlauchbooten zwischen den Dächern ihrer überfluteten Automobile hindurchmanövrierten; eine Schlammlawine, die ein ganzes Dorf
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