Flut: Roman (German Edition)
seine Frau sehen kann. Er hat genug auf sich genommen.«
Diesmal war De Ville sichtlich nahe daran, zu widersprechen, vielleicht sogar, sich Torbens Willen ganz offen zu widersetzen, aber schließlich nickte er doch wieder nur und deutete etwas wie ein trotziges Achselzucken an. »Warum nicht?« Er gab dem Mann neben sich einen Wink. »Bringen Sie ihn hinaus. Aber sorgen Sie dafür, dass er keinen Unsinn macht.«
Johannes Petrus schüttelte mit einem Ausdruck leiser Missbilligung den Kopf, machte sich aber nicht die Mühe, De Ville noch einmal zur Ordnung zu rufen, sondern schob mit einer umständlichen Bewegung den Stuhl zurück, auf dem er bisher gesessen hatte, und ging zu Giradeli. Er begann mit gedämpfter Stimme mit ihm zu sprechen. Rachel verstand nicht, worum es ging, schon weil die beiden jetzt wieder italienisch redeten. Aber auch sie hielt es plötzlich nicht mehr auf ihrem Stuhl aus. Sie stand auf, umkreiste den Tisch und ging mit so schnellen Schritten auf Johannes Petrus und seinen Gesprächspartner zu, dass De Ville sie nur verwirrt anstarren konnte, statt sie aufzuhalten, was er zweifellos getan hätte, wäre ihm klar geworden, was sie vorhatte.
»Ich habe eine Bitte«, sagte Rachel.
Torben unterbrach sich mitten im Wort und sah sie an, und obwohl sie nicht einmal in De Villes Richtung sah, konnte sie hören, wie er scharf die Luft zwischen den Zähnen einsog ob dieser Unverschämtheit, Johannes Petrus einfach mitten im Satz zu unterbrechen.
»Ja?«, fragte er.
»Ich möchte mit Benedikt reden«, sagte Rachel. »Nur fünf Minuten. Allein.«
Torben nickte. »Das kann ich verstehen«, sagte er. »Aber versprechen Sie sich nicht zu viel davon.«
Sie versprach sich überhaupt nichts davon. Was immer mit Benedikt geschehen war – sie war nicht einmal sicher, ob er sie überhaupt hören würde. Wortlos trat sie zurück und Torben beendete die angefangene Drehung in ihre Richtung und deutete mit der Hand auf Benedikt.
»Bringen Sie ihn in den Nebenraum«, befahl er.
Die Worte waren an niemand Spezielles gerichtet, aber De Ville protestierte heftig: »Das können Sie unmöglich wollen! Es ist viel zu gefährlich!«
»Ich glaube nicht«, antwortete Johannes Petrus mit einem leichten Kopfschütteln. »Die Zeit des Kämpfens ist vorbei, Hauptmann. Ich glaube, unsere Gäste haben das ebenfalls begriffen.«
De Ville starrte ihn noch eine Sekunde lang mit einer Mischung aus Trotz und immer stärker abbröckelndem Respekt an, dann fuhr er auf dem Absatz herum und stapfte wütend aus dem Zimmer.
Der Raum unterschied sich nicht von dem, in den er sie nach ihrer Ankunft hier gebracht und in dem sie die erste Viertelstunde abgewartet hatte – abgesehen vielleicht davon, dass der Fernseher bereits lief, als Benedikt und sie hintereinander hereingeführt wurden. Rachel streifte ihn nur mit einem flüchtigen Blick, aber sie sah dennoch, dass immer noch die gleichen chaotischen Szenen wie vorhin gesendet wurden, mit anderen Darstellern und veränderter Requisite, aber dem gleichen Inhalt.
Auf dem kurzen Stück über den Flur hatte man Benedikt die Handschellen wieder angelegt, was ganz bestimmt nicht Torbens Wunsch oder gar Befehl entsprach. Eine halbe Sekunde lang spielte Rachel tatsächlich mit dem Gedanken, zurückzugehen und sich zu beschweren, aber ihr wurde auch gleichzeitig klar, wie närrisch diese Idee war. Es spielte überhaupt keine Rolle. Benedikt bewegte sich ruhig, aber auf eine Art, die sie irgendwie erschreckte, als hätte er keinen freien Willen mehr. Ob mit gefesselten Händen oder nicht, er stellte keine Gefahr mehr dar, weder für sie noch für sonst irgendjemanden. Irgendetwas war in ihm zerbrochen und sie wusste immer noch nicht, was.
»Bitte lassen Sie uns allein«, wandte sie sich an den Mann, der Benedikt und sie hierher gebracht hatte. Sie war nicht sicher, ob er sie verstand; wie fast alle hier war er vermutlich Italiener und möglicherweise ihrer Sprache nicht mächtig. Also wiederholte sie ihre Worte und unterstrich sie mit einer unmissverständlichen Geste, aber er reagierte auch jetzt nicht sofort, sondern sah sie eine kleine Ewigkeit lang unentschlossen an, bevor er sich mit allen Anzeichen deutlichen Widerwillens herumdrehte und auf den Flur hinaustrat. Er machte keinen Versuch, die Tür zu schließen. Als Rachel die Hand nach der Klinke ausstrecken wollte, schüttelte er nur den Kopf und sie führte die Bewegung nicht zu Ende. Sie hatte weder Lust, sich mit diesem Mann zu
Weitere Kostenlose Bücher