Flut: Roman (German Edition)
richtete sich Naubach alarmiert auf und Frank war dicht hinter ihr, blieb dann aber stehen und begnügte sich damit, ihr aus der Deckung des Hauses heraus nachzubrüllen: »Verschwinde bloß! Lass dich nie wieder hier blicken, hörst du? Und ich hoffe, sie kriegen dich! Hast du verstanden, du Hexe? Ich hoffe, sie kriegen dich und jagen dir eine Kugel in den Kopf!«
Rachel rannte um den Wagen herum, riss die Beifahrertür auf und ließ sich neben Naubach auf den Sitz fallen. »Fahren Sie los«, sagte sie, noch bevor der Kommissar auch nur einen Ton gesagt hatte.
Naubach streckte wortlos die Hand nach dem Zündschlüssel aus, drehte ihn aber noch nicht herum, sondern sah Frank und sie abwechselnd und mit misstrauisch gefurchter Stirn an. »Ist auch wirklich alles in Ordnung?«, vergewisserte er sich.
Am liebsten hätte sie ihn angebrüllt, aber sie beherrschte sich und sagte nur noch einmal, wenn auch sehr hastig: »Ja. Bitte fahren Sie.«
Der Kommissar sah sie zwar weiter zweifelnd an – bei dem, was er gerade beobachtet hatte, und bei ihrem Zustand war die Behauptung, alles sei in bester Ordnung, schon mehr als lächerlich –, hob aber dann nur die Schultern und startete den Motor. Während er rückwärts aus der Garageneinfahrt setzte, wischte sich Rachel die Tränen aus dem Gesicht und sah noch einmal zu Frank hin. Er rief ihr irgendetwas hinterher. Sie waren schon zu weit entfernt und das Motorengeräusch zu laut, um seine Stimme zu hören, aber Rachel konnte das Wort ganz deutlich von seinen Lippen ablesen: Hexe.
»Was war los?«, fragte Naubach, nachdem sie gewendet hatten und er langsam die Straße hinabfuhr.
»Nichts«, antwortete Rachel. Dann hob sie die Schultern. »Frank«, sagte sie. »Frank war los. Der Kerl ist ein Idiot.«
»Frank Scheller, Tanjas Ehemann.« Naubach beantwortete seine eigene Frage mit einem Kopfnicken und zog eine Grimasse. »Das Vergnügen hatte ich ebenfalls schon. Sie halten ihn für einen Idioten?«
»Sie etwa nicht?«
»Ich hätte ein anderes Wort gewählt«, sagte Naubach ernst. »Aber ich bin ja in Begleitung einer Dame und sollte aufpassen, was ich sage. Konnten Sie mit Frau Schellers Eltern reden?«
»Nein«, antwortete Rachel, verbesserte sich aber sofort und sagte: »Ja. Aber nur ein paar Worte. Ich hätte nicht kommen sollen. Es war eine dumme Idee. Ich dachte, ich könnte ihnen vielleicht irgendwie helfen, aber ich glaube, ich habe so alles nur noch schlimmer gemacht.«
»Was haben sie gesagt?«
Rachel sah Naubach einen Herzschlag lang verwirrt an und plötzlich glaubte sie zu begreifen, warum er sich einverstanden erklärt hatte, diesen Umweg zu machen, obwohl ihm die Zeit doch angeblich so auf den Nägeln brannte. Es war weder Verständnis für ihre Situation noch ein Anflug von Menschlichkeit gewesen, sondern pures Kalkül. Er hatte einfach gehofft, dass Tanjas Eltern ihr vielleicht etwas erzählen würden, was sie ihm verschwiegen hatten. »Sie glauben mir also immer noch nicht«, sagte sie traurig.
Naubach versuchte nicht einmal, sich herauszureden. Er sah sie allerdings auch nicht an, als er antwortete: »Neugier ist so eine Art Berufskrankheit der Polizisten, wissen Sie?«
»Neugier oder Misstrauen?«
»Das ist meistens gar kein so großer Unterschied«, behauptete Naubach. »Jedenfalls nicht für den, der die Frage stellt.«
»Hm«, machte Rachel. Darüber musste sie nachdenken. Es wäre wohl zu billig gewesen, die Worte als bloße Ausflucht abzutun.
»Sie sollten wirklich versuchen mich zu verstehen«, fuhr Naubach fort. »Mein Instinkt sagt mir, dass Sie die Wahrheit sagen, aber ich wäre ein verdammt schlechter Polizist, wenn ich mich ausschließlich auf meinen Instinkt verlassen würde. Die ganze Geschichte ist so verflucht undurchsichtig.« Er zuckte mit den Schultern und die Bewegung machte Rachel klar, dass er keineswegs um Verständnis bettelte oder ihm gar etwas an ihrer Sympathie gelegen war. Er versuchte lediglich ein paar Dinge klarzustellen, weil das vieles erleichterte. »Solange ich nicht einmal die Spur einer Spur habe, ist für mich einfach jeder verdächtig. Und ich glaube prinzipiell nichts.«
»Das klingt, als ob es Spaß macht«, sagte Rachel.
»In gewisser Hinsicht – tatsächlich.« Sie bogen ab. Naubach gab Gas und schaltete die Scheibenwischer in ein langsameres Intervall, denn der Regen ließ ein wenig nach, vielleicht würde er sogar ganz aufhören.
Es hatte in den vergangenen Wochen unglaublich viel geregnet, aber
Weitere Kostenlose Bücher