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Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Titel: Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Leo
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Karotten, Kartoffeln, Rote Beete, Sellerie wachsen in der Erde, Salate, Erdbeeren und Gewürze am Boden, Bohnen aller Art, Stachelbeeren und Johannisbeeren an langen Bambusrohren. Prächtig blühende Stauden und Dahlien grenzen den Nutzgarten von der Terrasse ab. Auf der anderen Seite des Hauses liegen die Ställe und Gehegefür das Kleinvieh: Dort gackern tagein, tagaus die Hühner, blöken die Schafe, grunzen die Schweine, schnattern die Gänse. Nur die Kaninchen sind still. Aber ein Idyll ist das nicht. Nach der Schule wartet Arbeit auf die Kinder. Arbeit, Arbeit, Arbeit. Tiere sind zu versorgen, Ställe zu reinigen, Unkraut zu jäten, Früchte zu ernten und einzumachen, Böden umzugraben, neue Pflanzen zu säen und zu setzen, Schweine, Gänse und Kaninchen zu schlachten, Schafe zu scheren, Johannisbeeren zu mostieren und vor allem – Holz: Holz ist zu hacken. Im Herbst ist der Keller des Hauses bis zur Decke mit Weckgläsern und Flaschen gefüllt. Dazu kommen die vielen Gänge: für Kienäppel zum Feuermachen und Pilze in den Wald, für Milch, Käse und Butter zu Bauer Vahrjen, für den Rest zum Laden im Dorf. Viel Geld brauchen sie jedenfalls nicht. Die paar Mark, die der Vater nach Hause bringt, die immer gut besuchten Nähkurse der Mutter und die monatlichen 100 Mark aus der Weserstraße reichen aus.
    Oft ist der Unterschied zwischen dem erzählten und dem erlebten Vater nur ein diffuses Gefühl. Aber einmal, da kann M41 ihn mit Händen greifen.
    Normalerweise haben die Kinder, wenn der Vater abends nach Hause kommt, das Gefühl, da erholt sich jetzt ein großer Mann von den Fährnissen der Welt. Und damit sind nicht die Kreuzottern gemeint, die es in der Heide zuhauf gibt. Mit Kreuzottern wird nicht lange gefackelt. Sie werden mit dem Spaten getötet und vor die Eingangstür geworfen, damit es den Kindern imponiert. Nein, woran der Vater verzweifelt, das ist die grenzenlose Dummheit der Menschen, mit denen zu arbeiten offenbar sein Schicksal ist. Alles könnte so leicht sein, man müsste nur auf ihn hören. Aber man hat ja nichts Besseres zu tun, als ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen,allen voran seine beiden Widersacher: der Oberforstmeister Kirschner und der Oberforstdirektor von Malzahn. Die beiden wollen seine Überlegenheit einfach nicht anerkennen. Dass sie seine Chefs sind, sagt er nicht. Und die Bauern sind kein Stück besser. Kartoffeln mit Ohren sind das, und selbst die haben sie offenbar nicht zum Hören. Wie oft hat er ihnen schon erklärt, dass sie sich mit ihren Drainagen selbst den Boden abgraben. Und was passiert? Nichts. Hauptsache, die Ernte ist drin, und dann Däumchendrehen bis zum Frühjahr: einen Monat vorwärts, einen rückwärts. Schwachköpfe! Aber das Schlimmste, geradezu der Inbegriff alles Feindlichen, unter dessen Banner sich die Gemeinde, die Forstdirektion, alle Bauern und die gesamte moderne Zivilisation zusammengeschlossen haben, das ist die Monokultur. Die Kinder können es geradezu fühlen, wie sie ihnen den Hals abschnürt, diese Monokultur, wie sie alles kalt und grau und tot macht. Immer wenn der Vater darüber doziert hat und sie wieder ins Freie treten, meinen sie zu merken, dass die Luft schon wieder etwas dünner geworden ist. Aber dann sieht M41 den Vater eines Tages im Wald, zufällig, bei einem Streifzug. Der Anblick ist ein Schock, aber auch eine Erleichterung. Er brennt sich dem Jungen ein und begleitet ihn von nun an – wie ein Amulett, das gegen die Behauptung väterlicher Größe schützt. Was hat er gesehen? Eine Lichtung, auf der gearbeitet wird. Zwei Männer stehen am Rand und unterhalten sich. Aber keiner davon ist der Vater. Denn der kniet, zusammen mit vielen anderen, auf dem Boden. Er pflanzt Baumsetzlinge.
    Insgeheim scheint der Vater zu wissen, dass die Welt gar nicht Kopf steht, sondern, im Gegenteil, gerade erst wieder halbwegs zurück auf die Füße gefunden hat. Aber wenn er das zugäbe, würde es ihn wohl zerstören. Vermutlich fühlt erdeshalb ständig den Zwang, seine Kinder zu bestrafen. Deren Schwäche lenkt ihn von der eigenen ab, vor allem die der Jungs. M42 trifft es eher selten, der versteht es ganz geschickt, keinen Ärger auf sich zu ziehen. Aber die beiden anderen, die scheinen es drauf anzulegen. In M41, seinen Ältesten, verbeißt er sich geradezu. Die Bestrafungen folgen keinem System. Es gibt keine Unterschiede zwischen größeren und kleineren Vergehen, auch um Buße geht es nicht. Und Maximen, auf die sich der strafende

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