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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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schwarze Badeanzüge kleiden und zusammen gehen. Er hat ihnen sein Problem anvertraut, sich keine Gesichter merken zu können, zumal es ihnen quasi genau andersrum geht, da kaum jemand sie auf Anhieb auseinanderhalten kann. Er findet das komisch, sie nicht. Zwei seiner Schüler sind Triathleten. Einer ist Profi, schwimmt wie eine Rakete und hat den Trainingsplan mit blauem Kugelschreiber auf einem weißen Zettel notiert, der am Ende jedes Mal am Beckenrand kleben bleibt. Um den muss und soll er sich nicht groß kümmern. Der andere ist Rheumatologe und hat als Sportler schon bessere Zeiten gesehen. Er hat immer riesige Handflossen dabei und besteht darauf, sie zu benutzen, obwohl sie eindeutig die Ursache für seine Schulterschmerzen sind, wahrscheinlich eine Verletzung der Supraspinatussehne. Aber er ist der Arzt. Zwei Schüler schaffen es kaum, über Wasser zu bleiben. Einer ist ein bärtiger Spaßvogel, korpulent und ziemlich behaart, der schon am ersten Tag lachend gefragt hat, ob es erlaubt sei, im Kapuzenpullover zu schwimmen. Er nennt sich selbst Hoodieman und entlockt den Zwillingen ein Lächeln, indem er seine Spezialdisziplin, die Arschbombe, ankündigt und dann mit möglichst viel Trara ins Wasser springt. Der andere ist Tiago, ein schüchterner siebzehnjähriger Junge, der sehr höflich und beflissen ist und an extremer Gynäkomastie leidet. Seine Lieblingsschülerin bisher ist Ivana, eine mollige, sehr sympathische Dame Anfang fünfzig, die auf den ersten Blick alles andere als sportlich wirkte, sich dann aber als erfahrene und begeisterte Schwimmerin entpuppte, mehrmals an den Kurzstreckenmeisterschaften von Santa Catarina teilgenommen hat und sich jetzt auf längere Strecken vorbereiten will. Sie ist Anwältin und arbeitet am Gericht von Garopaba. Jemand, für den Schwimmen nicht dazu dient, ein Ziel zu erreichen, wie zum Beispiel abzunehmen, eine Krankheit zu bekämpfen oder Medaillen zu gewinnen, sondern Teil des Lebens ist, so wie arbeiten, essen oder schlafen. Jemand, der nicht ohne Schwimmen sein kann. Das haben sie beide gemeinsam. Schwimmen bedeutet für sie eine Lebensform, etwas, über das Eingeweihte nicht sprechen müssen. Ivana wippt auf eine seltsame Art mit den Schultern, außerdem erkennt er sie an ihrem Gang. Bei neuen Schülern ist er manchmal nicht sicher, wer sie sind. Manchmal kommt auch jemand rein und will sich nur das Becken ansehen oder etwas fragen, und er denkt, es sei einer seiner Schüler. Statt sich zu erklären, gilt er lieber als vergesslich, merkwürdig oder zerstreut. Manche halten ihn auch für einen Misanthropen. Aber bei dem kleinen Becken mit seinen drei Bahnen und den wenigen Schülern halten sich die Verwechslungen in Grenzen, und echte Missverständnisse gibt es eigentlich nie. Prinzipiell findet er es gut, neue Leute kennenzulernen, bei null anzufangenund sich einen ganz neuen Bekanntenkreis aufzubauen. Er schiebt die Gesichter beiseite und versucht, die Menschen an ihrer Haltung zu erkennen, an ihren Problemen, ihrer Geschichte, ihrer Kleidung, ihren Gesten und Stimmen, ihrer Art zu schwimmen, daran, welche Fortschritte sie beim Training machen. Aus diesen Attributen entsteht ein Diagramm, das er sozusagen abrufen und sich einprägen kann. Jeder Einzelne bildet ein wiedererkennbares Muster, das er in ein imaginäres Gruppenbild seiner Schüler einfügen kann. Er hat viele solcher Bilder im Kopf. Zu dem der Academia Swell gehören außerdem Débora, die ihm unbedingt Surfen beibringen will, und Panela, der nicht nur Mitbesitzer des Fitnesscenters ist, sondern auch eine Pizzeria am Stadtrand betreibt, ein geselliger Typ mit rasiertem Kopf und ausgeprägter Muskulatur, der Tag und Nacht als leidenschaftlicher PR-Mann seiner eigenen Unternehmen auftritt und ständig unterwegs ist. Sein Partner Tábua ist Kite-Surfer, nimmt an internationalen Wettbewerben teil und verbringt einen Großteil seiner Zeit im Ausland. Manchmal kommt er abends zum Schwimmen, nachdem er selbst schon weg ist. Débora behauptet, sie seien sich schon mal begegnet, aber daran kann er sich nicht erinnern. Tábua hat offenbar gesagt, er wolle keine Hunde im Haus haben, aber Panela hat nichts dagegen, wenn Beta auf dem Steinboden vor dem Empfang liegt oder die Schüler sie draußen auf dem Rasen streicheln. Er hat Tábua über Débora ausrichten lassen, wenn es ein Problem gebe, solle er sich direkt an ihn wenden, statt ihm irgendwelche Nachrichten zukommen zu lassen.
    Der 1. Mai ist das Ende der

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