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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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du?
    Mel.
    Und wie heißt du wirklich?
    Das fragt man nicht, mein Hübscher.
    Er sieht ihr in die Augen. Blaue Iris, überall Wimperntusche. Blutroter Lippenstift. Ein kleines Muttermal auf der linken Wange. So viel lässt sich im Halbdunkel erkennen.
    Andreia.
    Setz dich, Andreia. Ich bin gleich bei dir. Lass mich nur noch kurz mit meinem Freund hier etwas zu Ende besprechen.
    Darf ich mir etwas zu trinken bestellen?
    Was möchtest du?
    Einen Wein.
    Bestell ruhig.
    Zenão klopft ihm aufs Knie.
    Sieht sie nicht ein bisschen aus wie Anjelica Houston, als sie jung war?
    Wer?
    Deine Polackin.
    Wem soll sie ähnlich sehen?
    Anjelica Houston. Die Schauspielerin. Weißt du?
    Er weiß es nicht, sieht aber zu Andreia rüber und tut so, als überlege er.
    Ja, stimmt, ein bisschen. Aber ich war noch nicht fertig. Ende neunundsechzig.
    Ich erinnere mich an die Geschichte. Das war einer der merkwürdigsten Fälle in meinem Leben, nicht zuletzt deswegen gab es auch keine große Untersuchung.
    Merkwürdig inwiefern?
    Weil es keine Leiche gab.
    Das hat mein Vater auch erzählt. Als er nach Garopaba kam, konnte er das Grab nicht finden. Es gab zwar eins, aber da wuchs Gestrüpp drauf, das war auf keinen Fall frisch.
    Wie jetzt? Dein Vater? Wovon redest du?
    Sein Name war Hélio. Von ihm weiß ich das alles.
    Ah, der Sohn. Aus Porto Alegre. Wir haben ihn ein paar Tage später ausfindig gemacht, stimmt. Und dann kam er vorbei. Der Kerl hat geraucht, als gäbe es kein Morgen.
    Das ist er.
    Ich erinnere mich. Aber nochmal zurück. Das Seltsame war, dass es keine Leiche gab, als ich dort auftauchte.
    Wen wollen sie denn dann beerdigt haben?
    Keine Ahnung. Pass auf. Ich wurde per Telegramm benachrichtigt. Damals gab es in Garopaba kein Telefon. Ich glaube, das kam erst Mitte der Siebziger. Manchmal wurde bei schwereren Verbrechen in der Region das Kommissariat in Laguna kontaktiert. Garopaba war seit Anfang der Sechziger eine eigenständige Kommune. Theoretisch hatten die Kommunen ihr eigenes Kommissariat, aber die Realität sah natürlich anders aus. Ich hab die Moreninha gesehen, so nannten sie eine Baracke mit Gittertür, in die sie die Übeltäter steckten. Sie stand in der Nähe der Kirche. Die Leute saßen da einen Tag drin und mussten dann in Anwesenheit des Polizisten den Platz jäten. Man hat mich ein paar Mal dort hinbeordert. Mord, brutale Vergewaltigung, Brandstiftung, solche Sachen.
    Brandstiftung?
    Brandstiftung hat in Garopaba eine lange Tradition.
    Gab es viele Morde dort? Ein Einheimischer hat mir gesagt, in Garopaba sei noch nie jemand ermordet worden.
    Gemordet wird überall. Als die Leute aus dem Süden in die Gegend kamen, fingen die Probleme an. Es gab eine regelrechte Invasion, von einem Tag auf den anderen. Sie wollten zelten und surfen. Hippies. Viele von denen sind dageblieben und haben sich dort breitgemacht. Und dann ging es bald um Geld, Besitz, Macht. Es gab einen Hippie-Killer. Ein Typ namens Freitas, ein Bulle. Er war jahrelang im Dienst, bis sie ihn selbst umgelegt haben. Der Mann war ein lebendes Archiv.
    Andreia reibt sich an ihm.
    Komm doch ein bisschen näher.
    Ihr Atem riecht nach süßem Wein.
    Leg die Hand auf mein Bein.
    Er gehorcht und tastet nach ihrem Netzstrumpf. Die kalten Schenkel klemmen seine Finger ein.
    Dann war mein Großvater also nicht der Einzige.
    Keinesfalls. Aber das mit deinem Großvater war eine andere Geschichte. Wir bekamen das Telegramm am Sonntag, mit der Information, dass am Abend zuvor ein Mann ermordet worden sei. Die meisten Verbrechen drangen gar nicht erst zu uns durch. Häufig wurde das innerhalb der Kommune geregelt. Die Polizei spielte kaum eine Rolle, und wenn es ein Problem gab, kümmerten die Leute sich selbst darum. Ich fuhr am Montagmorgen mit dem Wagen aus Laguna los. Es regnete wie Sau. Mein Ford Corcel war nagelneu, Blitze über der Straße, eine riesige Eule flog mir gegen die Windschutzscheibe und haute mir einen Riss rein, und dann diese Schotterstraße, die war damals der Horror. Ich kam mittagsin Garopaba an und fing an, die Leute zu befragen. Erst hieß es, man wisse von nichts. Der einzige Polizist in der Stadt war vollkommen uninformiert, und so langsam wurde mir klar, dass die Person, die mir das Telegramm geschickt hatte, aus eigenem Antrieb gehandelt hatte. Vielleicht sogar heimlich. Niemand hatte mit dem Erscheinen eines Kommissars gerechnet. Aber ich blieb hart, und als sie merkten, dass sie mir nichts vormachen konnten, erzählten sie mir die

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