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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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Schnell winkte er Swoneken, bat um die Uhr und ließ sich das kälteste Wasser nachgießen, das der Bader zu bieten hatte. Der wunderte sich zwar, holte aber zwei Eimer und leerte sie in Rungholts Zuber.
    Die plötzliche Kälte half nur ein paar Atemzüge lang, die Müdigkeit zu vertreiben, dann glitten seine Gedanken erneut ab. Gähnend stellte er die Sanduhr auf das Brett für Seife und Schachspiel, das Swoneken über seinen Bauch gelegt hatte, und sah sich nach den anderen Gästen um.
    Ein Durchlauf, sagte er sich. Länger wollte er nicht auf Kerkring warten. Sollte er bis dahin nicht kommen, würde er aufstehen und nach Hause gehen. Contz zu ihm zu schicken und um ein Gespräch zu ersuchen war Blöße genug.
    Er hatte den ersten Schritt gemacht, den nächsten musste der dicke Rychtevoghede tun.
    Bloß ein Dutzend Gäste hatten sich heute in der Badestube eingefunden. Sie spielten Tres Canes, Backgammon oder Schach. Drei saßen auf dem Balken, schissen und redeten gedämpft. Nur ein paar Wörter wehten durch die Schleier aus Duftölen, verbrannten Kräutern und dampfendem Wasser zu ihm. »Aushungern«, konnte er heraushören, »Rat«, »Wahnsinn« und »Schwerter«. Von Waffen war die Rede, die sich jeder ehrbare Kaufmann beschaffen sollte. Argwöhnisch blickten die Männer, allesamt Englandfahrer aus Rungholts Nachbarschaft, über die badenden Kaufleute hinweg zum Ruhe-Eck. Swoneken hatte es mit feinen Stoffen abgetrennt.
    Hans Braun und Stefan Tetzel, zwei Handwerksmeister aus der Petersiliengasse, die Rungholt vom Ausbau seines Hinterhofs kannte, lagen dort bei zwei Hübschlerinnen. Rungholt konnte die vier lachen hören. Auch wenn er Handwerker generell nicht schätzte, Braun und Tetzel waren immerhin ehrliche Kerle, die über Jahre die Werkstätten ihrer Väter zu respektablen Betrieben aufgebaut hatten. Tetzel verdiente mit seiner Schreinerei sicher beinahe so viel, dachte Rungholt, wie die drei Englandfahrer zusammen. Im Rat mitreden war ihm dennoch verwehrt. Kein Wunder, sagte Rungholt sich, dass diese stolzen Handwerksmeister uns die Köpfe einschlagen wollen.
    Was gibt es für einen besseren Zeitpunkt, den Rat zu stürzen, überlegte er. Nicht nur dass in Lübeck die Menschen dieser Tage einfach so wegsterben. Man kann sie auch einfach so umbringen. Keinen schert es, wenn man mit einem Toten durch die Gassen läuft. Alle hielten den Jungen für einen Hungertoten. Niemand fragt nach. Kein Wunder, dass niemand gesehen haben will, wie die Kinder fortgeschafft wurden. Selbst die zwei Soldaten, die an der Ecke Lohberg und Gröpelgrube ihre Spaten beiseitegelegt hatten und, anstatt die Ronnen zu reparieren, lieber Karten spielten, hatten ihn bloß mitleidig angesehen. Ein Vater mit seinem toten Sohn. Sie hatten nicht mal aufstehen wollen.
    Recht und Ordnung waren erst ausgehungert und dann aus Lübeck fortgespült worden.
    Die Dämpfe der Lindenblüten lullten Rungholt abermals ein. Der Rat, dachte er, wird hinweggefegt. Sie werden das Rathaus niederbrennen und die dicken Kaufleute aufknüpfen. Aus den Fenstern können sie sie ja nicht werfen. Die sind zu schmal.
    Auch bei mir geht es um Haus und Hof, doch wenn ich den Jungen ohne Kerkrings Einwilligung aufschneide und ihn untersuche, bringt mich der Muskopp auf den Köpfelberg. Aber hätte ich Dartzow rufen sollen? Der hätte die Leiche nur wieder Kerkring übergeben, und dann wäre der Junge verscharrt worden. Nun liegt er also in meiner Brauerei.
    Was für ein Dilemma, dachte Rungholt grimmig, wie wenn mich Alheyd fragt, ob sie noch so schön ist wie damals zur Hochzeit. So oder so – die Antwort ist immer falsch.
    Er sank mit dem Hinterkopf auf die Kante des Zubers.
    Kerkring wird gleich kommen, lohnt sich nicht, die Augen zu schließen. Sieh auf den Sand. Sieht dir den Sand an, wie er im Fackelschein glitzert. Kerkring kommt. Er muss kommen.
    Da kippte die Sanduhr vom Brett und fiel ins Wasser. Rungholt sah ihr zu, wie sie immer tiefer sank. Klafter um Klafter, erst noch ein Schatten, dann war sie gänzlich unter ihm im schummerigen Nass abgetaucht. Von der Strömung für immer hinfortgerissen. Er sah sich um. Die See war spiegelglatt. Flaute. Die Wellen schwappten kaum gegen sein Kinn. Er hing an einer Planke, nein, es war das Stück eines Stevens. Der letzte Rest eine Kogge. Jäh tauchten um ihn herum Kinder aus dem Meer auf. Sie kamen mit dem Rücken voran aus den unendlichen Tiefen und dümpelten leblos, wie Swonekens Lindenblüten, um ihn herum. Da

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