Flutgrab
kippte sein rettendes Stück Holz, er konnte sich nicht mehr daran klammern und geriet unter Wasser. Schreiend tauchte Rungholt auf. Voller Panik schlug er um sich, spritzte die Badegäste voll und starrte schließlich in entsetzte Gesichter.
»Alles gut? Rungholt? Braucht Ihr etwas?«
Als träumte er noch, wehten Swonekens Worte herbei, und er verstand erst nicht, wieso sich die Kinder und das Meer aufgelöst hatten. »Nein. Nein«, stammelte er. »Es ist alles gut. Ich bin bereit. Wo ist die Uhr?«
Swoneken musterte seinen Gast verwundert, bot ihm aber lediglich an, noch etwas Wasser nachzugießen. Diesmal warmes. Rungholt lehnte ab und sah, dass die Uhr abgelaufen war.
Kerkring war nicht gekommen.
Behutsam schaufelte sich Rungholt etwas Wasser ins Gesicht und rieb sich den Handrücken mit einer Paste aus Fett und Öl ein. Die drei Kaufleute waren in die Zuber gestiegen, und durch den Vorhang konnte er sehen, wie Braun und Tetzel die beiden Hübschlerinnen liebten. Scheu rutschte Rungholt tiefer ins Wasser, nur einen Daumen breit, und benetzte seine Lippen.
»Auf ein Wort. Aber fasst Euch kurz«, riss ihn Kerkrings Stimme aus den Gedanken. Rungholt fuhr herum, da trat der Rychtevoghede bereits an den Zuber. Kerkring hatte sich ein Seidentuch umgeschlungen, seine Beine steckten in Beinlingen, deren auffälliges rot-gelbes Mi-Parti im Fackelschein zu strahlen schien.
»Setzt Euch«, sagte Rungholt ruhig und erntete einen angewiderten Blick.
»Es wird überlaufen, wenn ich mich dazusetze.«
»Das macht nichts. Es ist bereits kalt und bezahlt obendrein, Kerkring.«
Der Rychtevoghede kräuselte die Stirn. Mit einem Seufzer ließ er das Tuch fallen, und Swoneken half ihm hinein.
»Bader!«, fuhr er den Mann an. »Das ist eisig. Bring gefälligst warmes Wasser.« Swoneken verneigte sich und spurtete los, währenddessen wandte sich Kerkring geradeheraus an Rungholt: »Sprecht. Was wollt Ihr?«
»Zuallererst lasst mich sagen, wie froh ich bin, dass Ihr meine Nachricht erhalten habt und gekommen seid.«
Kerkring lachte auf. »Hört auf, Süßholz zu raspeln, Rungholt. Wenn Ihr mir so Honig ums Maul schmiert, dann geht’s um die Kinder.«
»Richtig.«
»Ihr sucht also noch immer nach den Entführten.«
Rungholt nickte.
»Ich habe Euch gewarnt, Rungholt.«
»Ihr habt mir wohl ins falsche Ohr geflüstert.« Rungholt hob seine vom Wasser verschrumpelte Hand und tippte an sein linkes Ohr. »Auf dem hier bin ich etwas taub.«
»Ich bin nicht gekommen, um mich beleidigen zu lassen. Ihr habt nach mir gerufen, also!«
Rungholt zögerte, war sich mit einem Mal unsicher. Was, wenn er mich gleich verhaftet und in die Fronerei schmeißt? Aber ich brauche seine Zustimmung.
»Ich habe Euch ein Geschäft anzubieten. Ich weiß etwas über einen Handwerker, der wahrscheinlich in die Planung des Aufstands verwickelt ist.«
»Der Aufstand? Ich dachte, wir reden über die Entführten.«
»Vielleicht hängt alles zusammen, Kerkring. Nehmen wir an, Ihr könntet den Anschlag tatsächlich verhindern. Ihr könntet einen Rädelsführer ins Liber Judicii schreiben und vor die Stadt bringen. Und nehmen wir weiter an, dass ich dafür nichts weiter möchte als eine kleine Erlaubnis und Eure Männer.«
»Erlaubnis?«
»Nehmen wir an«, begann Rungholt, »es gebe jemanden, der noch ein totes Kind fände. Wie Jakobus das Peterchen.«
»Wie Jakobus das Peterchen«, wiederholte Kerkring abfällig. »Soso.«
»Soso. Und dieser Jemand möchte das Kind untersuchen. Er muss es nicht nur in Augenschein nehmen, sondern … sagen wir, er muss hineinsehen.«
»Hineinsehen.« Die Galle in Kerkrings Aussprache war nicht zu überhören. Er stand sofort auf und meinte: »Ihr schlagt mir ein Geschäft vor, weil Ihr ein Kind aufschneiden wollt, Rungholt. Herr im Himmel. Und damit kommt Ihr allen Ernstes zu mir?«
»Mit etwas Glück könnt Ihr den Aufstand im Keim ersticken und …«
»Das werde ich auch so. Wir durchsuchen ganz Lübeck. Wir finden auch Euren … Euren Rädelsführer.«
Damit hatte Kerkring wahrscheinlich sogar Recht, falls Rungholts Einbruch Claas Meenkens nicht alarmiert und er alle Spuren dieser Bomben entfernt hatte.
»Sie sind alle gestorben, Kerkring«, fuhr Rungholt drängend fort. »Nur bei Peterchen weiß ich, wie er gestorben ist. Bei Agnes und dem anderen Jungen weiß ich es nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich muss sie aufschneiden, Kerkring. Alle drei. Wenn wir die Kinder finden wollen, muss ich das andere Kind
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