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Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
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Markt denkt man sich schon Namen für den Kinderfresser aus.«
    »Ich weiß«, seufzte Dartzow. »Es begann vor drei Wochen. Da verschwanden an einem Tag vier Kinder. Nun sind es acht.«
    Statt einer Antwort nahm Rungholt den Branntwein entgegen und schickte Hilde wieder in ihren Alkoven.
    »In der Stadt rumort es, Rungholt. Dem Fischhändler Frenke haben sie gestern den Wagen angesteckt und seine Fracht geplündert. Er ist mit knapper Not entkommen. Das waren ganz normale Schiffer und Handwerker … Erinnert Ihr Euch an 84?«
    Rungholt nickte. Vor zehn Jahren im September, vor dem Lambertstag, war der zweite Aufstand der Knochenhauer brutal niedergeschlagen worden. Das Komplott gegen den Rat konnte im letzten Moment vereitelt werden, weil einer der Verschwörer sich verplappert hatte. Die Ämter der Knochenhauer, Paternostermaker, Bäcker, Lohgerber und anderes unzufriedenes Pack hatten tatsächlich geplant, den Rat gefangen zu nehmen. Sie hatten bessere Bedingungen für ihren Stand verlangt, mehr Einfluss bei den Entscheidungen des Rats.
    »Sie sind wieder unzufrieden. Vor allem die Handwerksmeister, aber auch die Lehrlinge, das Gesindel auf den Straßen. Sie wollen Köpfe rollen sehen. Im Rathaus. Sie hassen uns, weil wir die Hungersnot nicht in den Griff bekommen, und jetzt verschwinden schon seit Wochen ihre Söhne.«
    »Söhne? Keine Mädchen?«
    »Nein. Nur Söhne. Und kein Kind aus unserem Stand. Bisher sind wir Kaufleute und Seefahrer verschont geblieben, Rungholt.«
    Grübelnd kratzte sich Rungholt den Bauch und nahm einen großen Schluck Branntwein. Sein Blick streifte die Nussbaumpaneele, hinter denen der Kinderschädel lag. »Ihr befürchtet Unruhen?«
    »Wenn nicht bald etwas geschieht, ja.«
    »Das ist Politik. Was habe ich mit Ratspalaver zu schaffen, Dartzow? Ich bin ein ehrlicher Kaufmann, kein Ratsherr.«
    »Ihr wollt in den Rat? Ist es das?«
    »Was soll ich da?« Rungholt schüttelte den Kopf, obwohl ihn die Vorstellung amüsierte. Er, der Kaufmann aus der Engelsgrube, quetscht sich ins Chorgestühl und belfert, wenn der Rat Unsinn für Lübeck beschließt.
    »Ich bitte Euch.«
    » Ich bitte Euch, ich bitte Euch … Ich habe Euch schon bei dieser Magd geholfen … Und was war? Es hat mir ins Haus geregnet.«
    »Ihr wollt also Geld?«
    Ligawyi , wie dringend muss es sein, dass er den Bluthund von der Kette lassen will, dachte Rungholt. »Nein. Einen Altar in St. Marien, sieben Koggen und ein Wunderding aus Holz, Seilen und Rädern, das für mich rechnet.«
    Der Bürgermeister kratzte sich, unbeeindruckt von Rungholts Frotzelei, die Stirn. »Ihr bekommt etwas für die Mühe, wirklich, Rungholt. Ich kann es nicht versprechen, aber ich werde mein Wort …«
    »Schickt zumindest einen Trupp Riddere vor die Tore der Stadt und lasst sie die Umgebung von Schwartau durchkämmen. Sie sollen meinen Kapitän finden. Ich möchte seine sterblichen Überreste bestatten.«
    »Für eine Suche die Leibwache des Rats abziehen … Gerade in diesen Tagen? Ich … Ich kann Euch auch aus meiner privaten Truhe bezahlen. Wollen wir es so halten?« Dartzows Stimme klang nun nicht mehr beunruhigt, sondern zitterte.
    Anstatt einer Antwort gab Rungholt ein Knurren von sich. Er hob seinen Becher und trank ihn aus. Im Gegensatz zu Dartzow, der nicht mal am Schnaps genippt hatte. »So schlimm?«
    »Was, wenn die Handwerker zu den Waffen greifen? Kommt einfach mit … Es sind Kinder.« Seine Stimme brach fast. »Ich weiß nicht weiter. Es sind doch Kinder …« Dartzow, Tränen in den Augen, schüttelte den Kopf. Er konnte nicht weitersprechen.
    Kinder, dachte Rungholt. Ein Schädel mit Runen. Kinder … Unbewusst hatte er seine Hand auf das Diptychon gelegt. Kinderschädel.
    »Beratet mich. Kommt mit und seht es Euch an … Es …« Als er sah, dass Rungholt nicht dergleichen tat, schüttelte er den Kopf, stand jäh auf und kippte seinen Branntwein. Förmlich bedankte sich der Bürgermeister für Rungholts Zeit und griff nach seiner Heuke.
    Knurren, Ächzen, Schnaufen – in dieser Reihenfolge –, dann hatte sich Rungholt erhoben und stoppte Dartzow, der schon in die Diele hinausgetreten war.
    »Was soll ich mir denn ansehen?«, fragte er.
    Dartzow seufzte tief. »Sie sind alle verschwunden, Rungholt. Aber ein Kind ist zurückgekommen. Ein einziges … Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass seine Rückkehr ein gutes Zeichen ist.«

11
    Rungholts rechter Handrücken juckte. Er rieb die alte Brandnarbe, die eine Feuerbombe vor

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