Flutgrab
Ratten.«
»Ratten?«
Rungholt hatte gemeint, Marek spiele auf das Dutzend Viecher an, die begonnen hatten, ihr Nest in den rot-nassen Strohkissen zu bauen. Er hörte, wie sich Marek übergab.
»Lass das. Du verwischst Spuren.«
Keuchend wischte sich Marek den Mund. »Hach, lustig. Was für Spuren denn? Du bist hier drin schon mal rumgewatet und mindestens zwanzig andere Leute auch. Und wer weiß, wen Kerkring hier durchgeschickt hat. Was willst du da noch finden?«
»Irgendwas. Ich weiß es doch auch nicht, Marek«, entgegnete Rungholt gereizter als gewollt. »Ich weiß nur, wir haben was übersehen. Ich bin mir sicher , dass der Hammermann hier war. Hier im Keller. Die Holunderblüten, mein Bauchgefühl, mein Traum … Ja, grins nur.«
»Ich hab nichts gesagt.«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll, Marek. Aber mein Bauch grummelt. Und der grummelt nicht, weil ich nur Erbsen zu fressen kriege. An der Sache ist was faul. Der Büttel bringt mich zu einer Mauer, wo wir einen Kinderschädel finden. Und keine fünfzig Klafter entfernt wird ein Kind samt seiner Familie abgeschlachtet? Ein Kind, das entführt wurde und gerade heimgekehrt ist? … Der Hammermann war hier. Aber wenn er Peterchens Mörder ist, dann war er in diesem Keller, einen Tag nachdem er vor d’ Alighieris Büttel geflohen ist. Peterchen, sein Vater, sie alle starben, nachdem der Hammermann d’ Alighieris Kurier überfiel. Montagnacht wird d’ Alighieri beraubt – ich war ja da, als der Büttel reingestürzt kam –, und Peterchen stirbt Dienstagnacht.«
»Er klaut die Edelsteine, verliert einen Schädel und dringt am nächsten Tag in den Keller ein und ermordet alle?« Marek versuchte, sein zugeschwollenes Auge zu öffnen, aber es gelang nicht.
Rungholt seufzte. Ergab das einen Sinn?
»Vielleicht waren die Mornewechs irgendwie am Raub beteiligt.« Marek stieß mit der Fackel eine der Ratten vom Bett. »Oder sie wussten, wer der Hammermann ist.«
»Und er hat einen Mitwisser oder Zeugen ausgeschaltet?«
»Ja. So was in der Art.«
»Dann ist er nicht der Entführer der Kinder …«, sprach Rungholt grübelnd zu sich selbst. Mit einem Male sterbensmüde, schüttelte er den Kopf. Vorhin im Badhaus hatte ihn die Eingebung mit den Blüten in einen Rausch versetzt, endlich fügte sich etwas zusammen, und noch auf dem Gerüst hatte er frohlockt, dass jetzt, wie gut gesägte Zahnräder einer Mühle, Teile ineinanderpassten … Doch diese Mühle gab kein Korn. Er konnte nicht einmal sagen, wozu sich die Räder überhaupt drehten, ganz zu schweigen, was sie eigentlich antrieben. Edelsteinraub, Entführung, ein Schädel. »Wir haben irgendetwas übersehen … Wir müssen uns konzentrieren, alles noch mal in Ruhe betrachten. Die Antwort liegt hier irgendwo.«
»Das Wasser ist eiskalt, Rungholt.«
»Ach, und das sagt der Kapitän, der jedes Jahr prahlt, gleich nach dem Biikebrennen in die Wellen zu springen!« Rungholt klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Wirst es schon aushalten. Du musst es aushalten, Marek. Irgendwer muss das hier ja weiterführen.«
»Was?«, stutzte Marek. »Wie meinst du das?«
»Die Sünder jagen, die Schlächter und Mörder.« Rungholt hatte es derart ernst und still gesagt, den Blick auf das Blutwasser gerichtet, dass Marek aufhorchte. Er wollte nachfragen, öffnete schon den Mund, aber Rungholt warf ihm einen Blick zu, und er schwieg.
Sie begannen, den Raum abzuschreiten, sich die Wände anzusehen, die spärlichen Möbel. Nachdem sie die Ratten verscheucht hatten, nahmen sie sich sogar das Blutbett vor, zogen die Kissen weg, die Decken, hoben das Strohlager an. Danach sahen sie aus, wie in einen Zuber mit Schweineblut gefallen.
Die beiden fanden nichts.
Enttäuscht stellte sich Rungholt neben das Bett. Seufzend sah er sich noch einmal in dem Raum um und strich versonnen über den Nachttisch. Seine Fingerkuppen fuhren über getrocknetes Blut, das sich auf der Holzplatte verteilt hatte. Wenn er sich recht erinnerte, wie die Leichen gelegen hatten, musste es das Blut von Peterchens Tante sein.
Es war nicht gleichmäßig über das Holz geflossen. Ein Stück in der Mitte war unberührt. Eine kreisrunde Fläche. Rungholt ging in die Hocke.
»Soll ich dir ein paar der Blüten reichen? Willst du ein Bad nehmen?« Marek stellte sich zu ihm, ließ seinen Blick über das Bett mit den Ratten und dann weiter über die ärmlichen Schränke und das Holzkreuz gleiten. Selbst das Kreuz hatte Spritzer
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