Flutgrab
Stirn gedrückt.
»Wofür war das denn?«, wollte der Kapitän wissen und trank einen Schluck.
»Zeichen meiner Freundschaft.« Grinsend stieß Rungholt mit dem Kapitän an. »Die nächsten Stunden wirst du sicher nicht mehr mit mir reden wollen.«
20
»Ich red nicht mehr mit dir. Punkt. Das war’s!«
»Komm schon.« Mit einer schnellen Geste winkte Rungholt Marek, der mit einer Schaufel und einem Spaten bewaffnet war, aus dem Häuserschatten. Ängstlich blickte der Kapitän zurück auf den Koberg. Dunkel reihten sich die Häuser aneinander und umfassten den Markt mit seinen verwaisten Viehgattern. Die Zäune waren niedergetrampelt worden, schon vor zwei Monaten, als ein dreister Dieb die halbe Herde gestohlen hatte. In welchen Kellern auch immer die Kühe verarbeitet worden waren, niemand hatte sie mehr gesehen. Das Mondlicht blitzte kalt durch den Regen. Die schweren Gewitterwolken waren weitergezogen, aber der Sturm hatte Lübeck zugesetzt. Er hatte Schindeln in das Wasser gerissen, Handkarren und drei unterspülte Bäume in der Düvekenstraße umgerissen. Rungholts Dach war verschont geblieben.
»Das hast du also mit Schaufel tragen gemeint. Das ist das Letzte.«
»Ich dachte, wir müssen irgendwann Peterchen ausgraben, aber jetzt wird es Agnes.«
Marek schloss zu Rungholt auf. »Wegen dir komme ich in die Hölle, Rungholt.«
»Dafür hast du zu viel Gutes getan«, entgegnete Rungholt und schob ein paar Feldsteine der eingefallenen Friedhofsmauer zurecht, um besser rüberklettern zu können. Doch die niedrige Mauer war für seinen fülligen Leib noch immer zu hoch. Bei dem Versuch, sich drüberzuschwingen, riss sein dunkler Tappert auf.
»Meinst du das ernst?«, wollte Marek wissen, den noch immer Rungholts freundliche Worte beschäftigten.
»Sicher meine ich das ernst, Marek. Du bist ein guter Mensch.«
»Aber du hättest nicht um mich getrauert, oder?«
»Ich?«, empörte sich Rungholt. »Wieso sollte ich? Kapitäne gibt’s wie Sand am Meer. Warum sollte ich um einen Dänen wie dich trauern? Einen Kapitän, der sich meine Waren unter dem Hintern wegbrennen lässt!«
Getroffen blickte Marek zu Boden. Einen Lidschlag lang überlegte Rungholt, ob er Marek nicht kumpelhaft auf die Schulter klopfen sollte und für den dummen Spruch um Verzeihung bitten, doch er knurrte bloß. »Du kannst ja gerne heulen. Aber erst hilfst du mir über die Mauer. Komm schon.«
»Wir hätten uns jedenfalls ordentliche Kleider anziehen können.«
»Juckt’s wieder?«
»Zu Sinje wär’s doch nicht weit gewesen.«
Rungholt winkte ab. Nach ihrem kleinen Umtrunk auf dem Dachboden hatten sie sich noch ein bisschen Mut in Rungholts Dornse angetrunken und dann zwei Tapperts und zwei Gugeln geholt. Die langen Obergewänder aus hübschem gelbem Stoff und die Mi-Parti-Gugeln ließen sich vorzüglich im Matsch des Hinterhofs dunkel färben. Genau das Richtige für ihre nächtliche Aufgabe. Nun stanken sie etwas nach Rattendreck, aber dafür würden neugierige Blicke sie nur schemenhaft erahnen können.
Marek schmiss Schaufel und Spaten auf den Friedhof. »Ich hätte im Wald bleiben sollen.«
»Du kommst nicht in die Hölle. Glaub mir.«
»Ich trau dir nicht so weit, wie ich pinkeln kann. Und das ist nicht sehr weit. Ich meine, das ist so ziemlich das Widerwärtigste, was ich in meinem jungen, zarten Leben je getan hab. Ich lade so viel Sünde auf mich, dass …«
Rungholts Knurren, mit dem dieser sich ein Säckchen vom Gürtel riss, stoppte Mareks Geplapper.
Drei Witten und ein paar Pfennige. Er hatte das Geld für etwas Essen eingesteckt. »Du kannst schwatzen, du weibischer Schone.« Murrend drückte er Marek alle Münzen in die Hand. »Das willst du doch. Von wegen Seelenheil und Hölle … Geld willst du Halsabschneider von einem Matrosen. Kauf dir ’n Ablassbrief meinetwegen, wenn du dran glaubst.«
»Ein Ablassbrief ist ein …«
»Ein einträgliches Geschäft. Dazu da, Dumme auszunehmen«, entgegnete Rungholt, musste aber an die Ablassbriefe in seinem Keller denken. Gut versteckt hinter Backsteinen. Er besaß ein ganzes Bündel und hatte sie zur Sicherheit gekauft. Auch wenn er nicht wirklich glaubte, dass sie seine Zeit im Fegefeuer verkürzen würden, so war es doch besser, im Zweifelsfall gewappnet zu sein. »Können wir anfangen? Oder willst du noch länger im Regen schwatzen?«
»Nein. Ist gut. So oder so«, meinte Marek und wollte auf einen Witten beißen, um ihn zu kontrollieren, doch Rungholts strenger
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