Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meister Derek
Vom Netzwerk:
atmen. »Ich will das alles nicht mehr …«
    »Ist gut … Is ja gut.« Marek presste ihn an sich, hatte Mühe, Rungholts massigen Körper zu umschließen. Immerhin wehrte sich Rungholt nicht.
    »Ich habe mein Leben verspielt, Marek.« Die Tränen rannen ihm über die Wangen und auf die nackten Schultern des Kapitäns.
    »Dumm Tüch, Rungholt. Dummes Zeug. Es wird alles gut.«
    »Nein … Du hast ja keine Ahnung …« Rungholt rang nach Atem. »Ich habe mit d’ Alighieri einen Vertrag. Ich … Ich habe gewettet, dass ich diesen Dieb finde, aber es ist kein Dieb. Es ist … Diesen Kindesentführer. Es ist alles weg. Haus, Hof …«
    »Die Möwe?« Marek löste sich von ihm.
    Zitternd wischte sich Rungholt die Tränen weg, doch es flossen gleich wieder welche nach. Er nickte. »Auch die Möwe. Alles. Wenn ich diesen Schmied nicht binnen vier Tagen finde.«
    Rungholt hatte erwartet, ein Fluchen zu hören, dass Marek nach ihm schlug, ihn anschrie, doch der Kapitän lächelte milde, packte Rungholts Kopf mit beiden Händen und drückte dessen Stirn fest an seine Brust. »Es wird aufhören. Es wird aufhören. Irgendwann ziehen wir beide in den Himmel ein, Rungholt. Aber bis dahin werden noch viele Winter kommen, denke ich. Und es wird oft schneien. Aber der Schnee wird immer schmelzen. Es hört auf. Du bist, was du bist. Du bleibst, wer du bist, egal, was du besitzt. Und ich bleibe Kapitän – auch ohne Schiff … Kann ja wieder einen Konvoi von dir anzünden.«
    Lachen und Weinen vermischten sich, bis Rungholt husten musste. Er tätschelte Marek die Wange. »Ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte, Marek. Wenn du nicht wiedergekommen wärst …«
    »Ich weiß.« Arm in Arm standen sie da.
    Sinje musterte das Bild stirnrunzelnd. »Soll ich euch das Bett überlassen?«, fragte sie schnippisch. Erst jetzt bemerkten die Männer, dass sie splitternackt waren.

29
    »Die Töversche sagte, wir sollen ihm in die Augen schauen.« Rungholt legte den Schädel auf das Bierfass und beugte sich hinab. »Da ist nichts. Da sind die zwölf Mulden, und das war’s.«
    Während Sinje sich die Seidenfäden mit den Notizfetzen ansah, drehte Marek den Schädel herum und ließ die schwere Goldkugel durch das Halsloch fallen.
    »Siehst du was?«
    Rungholt schüttelte den Kopf. »Sie fällt in eine der Mulden. Dafür sind sie auch da, dabei bleib ich.«
    »Sehe ich auch so, sag ich dir. Kugel und Schädel. Und du sagst, sie zeigen den Weg zum ›Hort des Roten‹? Einem Berg aus toten Christen?«
    »Nicht ich, die Knochenfrau.« Der wissbegierige Schone begleitete ihn nun schon seit so langer Zeit, und je mehr Verbrecher sie jagten, desto geschwinder zog er seine Schlüsse. »Schädel und Kugel sind die Karte zu einem Hort. Vielleicht dem Grab dieses Roten. Die Víkingr sollen viele Kostbarkeiten mit in den Tod genommen haben.«
    »Der Schädel führt zu einem Schatz?« Marek schürzte anerkennend die Lippen.
    »Wenn wir der Töverschen glauben, ja. Zum Schatz des Roten.« Und zu meinem Grab, dachte Rungholt. Wenn sie mit ihrem Gestammel Recht hat, führt dieser Schädel mich in den Tod. Vielleicht sollte ich ihn verbrennen und die Goldkugel verkaufen?
    Aber war das so einfach? Er hatte von Mönchen nahe Dijon gehört, die sagten, seinem Schicksal könne man nicht entgehen. Gott habe ein großes Buch, worin er längst alle Lebensläufe eingetragen, alle Verbindungen gezeichnet hat. Für jene Mönche hing die Erde an einem aufgezwirbelten Bogen. Einmal aufgezogen, schnurrte sie mit ihren Geschöpfen bis in alle Ewigkeit los.
    Rungholt schüttelte es innerlich. Jeder hat das Glück in seiner Hand, beharrte er und sah unwillkürlich auf seine zerschnittene Rechte. Jeder schmiedet sich sein eigenes Leben. Wir ziehen täglich hunderte Bögen auf und lassen sie losschnurren. Er schloss die Augen, und kaum war es dunkel, tauchten die Kinder aus blauer Tiefe auf und streckten die Arme nach ihm aus.
    Das Bild war gar nicht bedrohlich. Er musste sogar lächeln.
    Ich finde euch, dachte er. Ich finde euch, weil euer Schicksal nicht der Tod sein darf. Und dann, dann kann ich schlafen.
    »Alles gut mit dir?« Sinje beugte sich über den Runenschädel und blinzelte im Licht der Tranlampe. »Hast du Schmerzen?«
    Rungholt öffnete die Augen und schüttelte milde den Kopf. »Es ist wieder alles gut. Danke, Sinje.«
    Sie hatten noch gewartet, bis Rungholts Kleider ein wenig getrocknet waren, und dann beschlossen, gemeinsam auf Rungholts Dachboden zu gehen.

Weitere Kostenlose Bücher